Hanibal
durchs Tal getrieben und wieder zurück. Danach die Geier.
Die zehn Gefangenen wurden ins Lager gebracht. Antigonos lehnte sich keuchend an einen Pfosten. Langsam glitt er zu Boden, schloß die Augen und wünschte sich ans andere Ende der Zeit.
Die Nächte mit Tsuniro stellten ihn wieder her; am vierten Morgen erwachte er nach traumlosem und ungestörten Schlaf. Die übervolle Stadt erfüllte ihn länger mit Unbehagen; immer wieder erinnerte sie ihn an den Talkessel im Hinterland. Solange Libyer und Söldner unter Matho nicht nur Ityke und Hipu, sondern auch Tynes hielten und den Isthmos sperren konnten, lebten fast alle Bewohner des Umlands hinter den unbezwinglichen Mauern. Tagsüber wurde auf den Feldern und in den Gärten des Isthmos gearbeitet, aber nachts schlief man ruhiger in Qart Hadasht. Wenngleich der andere Stratege Hannibal Tynes wieder belagerte.
Hamilkar und Naravas nahmen Städte, öffneten Wege , drängten die Söldner immer weiter zurück, bis kaum zwei Monate nach der Vernichtung des großen Heers nahezu das gesamte Land wieder unter punischer Herrschaft war.
Die Enge hatte ihre guten Seiten. Auf den größeren Plätzen wurden Holzhütten errichtet, sogar zwischen den feinen Häusern der Megara zelteten Landleute. Nach und nach bestimmten sie und ihre Vertreter einen Teil der Ratsverhandlungen mit; selbst die »Alten« um Hanno begannen zu begreifen, daß die Bewohner des Isthmos und die der entlegeneren punischen Gebiete Libyens leichter zu lenken waren, wenn man ihnen mehr Freiheiten einräumte. Nach dem großen Entsetzen der ersten Zeiten des Libyschen Kriegs, wie er inzwischen genannt wurde, hatte Qart Hadasht nur Rache gewollt; neuerdings steuerte sogar Hanno einen anderen Kurs. Gründliche Rache, Feuer und Schwert nach dem Ende der letzten Söldner, schien immer weniger durchführbar – gerade die »Alten«, die eher von den Erträgen ihrer riesigen Landgüter als vom Fernhandel lebten, wurden immer milder. Der Krieg, der noch nicht beendet war, hatte furchtbare Opfer und Verluste verlangt; die geschmolzene Landbevölkerung noch weiter zu vermindern, durch Strafzüge und Hinrichtungen, käme einer Verstümmelung von Qart Hadasht und einem Abriß der eigenen Grundmauern gleich. So weit wie die Barkiden, die in Ausschüssen eine Umwandlung einzelner Güter in große Herstellungsgemeinschaften erörterten, die libyschen Pächter zu freien Bauern machen und die Güter mit Sklaven bewirtschaften wollten, gingen die »Alten« nicht. Immerhin war aber auch den Männern um Hanno klar, daß die Wiederholung der Katastrophe nur vermeidbar war, wenn die Libyer nie wieder Grund hatten, die Stadt zu hassen und ihre Zerstörung zu wünschen.
Die Sperrung des Hinterlands führte, zusammen mit Roms Freundschaft und der Hilfe von Syrakosai, zu einer ungeheuren Ausweitung des Seehandels, der bisher größtenteils zwischen der Stadt und dem punischen Westen der Oikumene abgewickelt worden war. Immer mehr Schiffe aus Alexandreia, Laodikeia, Rhodos, Athen und Kreta liefen Qart Hadasht an, und die guten Handwerker aus dem Häuserblock am Tynes- Tor, die den Wettbewerb mit hellenischen Fertigern nicht zu scheuen brauchten, verdienten besonders gut – mit ihnen die Sandbank. Tsuniros Düfte ergötzten die feinen Nasen im Osten der Oikumene. Mit der Bemerkung »Man weiß ja nie, was noch kommt – für die Stadt und für dich und mich« zahlte Tsuniro vertragsgemäß vier Zehntel ihrer Reinerträge an die Bank, bestritt die Hälfte der gemeinsamen Haushaltskosten und steckte den halben Rest in neue Instrumente, bessere Tiegel und verfeinerte Öfen; die Bank übernahm vier Zehntel dieser Kosten. Was mit ihrem sonstigen Geld geschah, sagte Tsuniro keinem. Antigonos vermutete, daß sie irgendwo einen Schatz hortete oder vergrub, kümmerte sich aber nicht weiter darum.
Im Frühsommer übergab Hamilkar die zehn Gefangenen und (wieder) die Belagerung von Tynes vorübergehend dem anderen Strategen und kam in die Stadt, um seine jüngere Tochter Sapanibal mit Hasdrubal dem Schönen zu vermählen. Eines der vielen Feste, an denen Antigonos nicht teilnehmen konnte; er hatte, ehe er davon erfuhr, endlich seine längst geplante Fahrt nach Alexandreia festgesetzt und bei Phrynichos angekündigt.
Die Reise war erholsam und frei von Schwierigkeiten. Bei einer langen Fahrt nilaufwärts, bis jenseits der großen Pyramiden, murmelte Tsuniro mehrmals ihr Heimweh nach den Sternen des Südens in die Nacht und in
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