Hanibal
flacher Stimme. »Aber, so weit wir das beobachten konnten, ohne großen Nutzen. Vielleicht könnte man hundert oder zweihundert Leute mit dem versorgen, was an einem Tag in den Dingern nachsickert, mehr nicht. Wir haben ja hier draußen auch gegraben; es macht uns kein Vergnügen, jeden Tropfen so weit herholen zu müssen. In der Erde ist nicht genug.«
»Wielange…?«
»Noch? Zwei, drei Tage. Schon? Zwanzig Tage. Nur Steine. Kein Baum, kein Strauch, kein Gras. Zuerst haben sie die Vorräte aufgezehrt. Dann haben sie die Tiere geschlachtet. Das war am fünften Tag. Aber außer den Karren haben sie nichts, um Feuer zu machen – sie mußten alles schnell essen, roh, bevor es in der Tageshitze verfault.«
»Und dann?«
Hamilkar winkte ab. »Was wohl?«
Antigonos starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. »Du meinst…?«
»Ja. Zuerst die Gefangenen. Dann, am dreizehnten Tag, die Sklaven. Tiggo – geschlachtet und gefressen. Roh, ohne Feuer.
Und seit zwei Tagen würfeln sie – die einfachen Krieger. Die Führer natürlich nicht. Sie trinken Blut, verdünnt mit dem wenigen Wasser aus dem Brunnen.«
Antigonos sank auf die Decken und blickte in die Dunkelheit unter dem Zeltdach. Sein Magen tanzte gebläht durch den Bauch.
»Alle Abscheulichkeiten des Krieges«, sagte Hamilkar leise.
»Brand, Mord, Schändung, Raub, derlei gibt es in jedem Krieg. Mit der Abschlachtung von Giskon und den anderen Gesandten haben sie die Götter und alle Übereinkünfte gelästert. Mit dem, was in den vergangenen Tagen in diesem Tal der Säge geschehen ist, haben sie die letzten Gemeinsamkeiten mit Menschen aufgegeben. Sie sind nicht einmal Tiere. Nur Gefäße des Grauens. Aller Abschaum der Erde. Ekel Ekel Ekel.«
»Sie können sich nicht ergeben«, sagte Antigonos heiser.
»Sie wissen, was sie getan haben. Selbst wenn… wer von ihnen kann in sein Dorf oder seine Stadt zurück, Menschen ansehen, mit Frauen schlafen, zu Göttern beten?«
Hamilkar machte Geräusche tief in der Kehle. »Ah, und wenn sie sich ergäben – Tiggo, was soll ich in dieser Steinwüste mit fünfzigtausend Gefangenen? Soll ich sie, die alles geschändet haben, was zwischen uns und dem Schwarzen Nichts steht, von meinen Männern füttern und tränken lassen? Das Böse in die Welt ziehen lassen, damit es alles verseucht?«
Antigonos stützte sich auf einen Ellenbogen. »Vor allem solltest du schlafen.«
Hamilkar lachte hohl. »Das wäre die erste Nacht seit vielen. Schlaf du, wenn du kannst.«
Als er unruhig erwachte, war Hamilkar fort. Durch den Luftabzug im Zeltdach schien helles Licht.
Draußen reichte der Augiler ihm kleiiges Brot, ein Stückchen Salzfisch und einen Becher Wasser. Antigonos aß widerwillig ein paar Bissen, trank, bat um einen Schluck Wein, aber selbst danach war der widerliche Geschmack noch im Mund.
Im Lager herrschte milde Erregung. Immer mehr Männer, voll bewaffnet, kletterten die Leitern und Treppen der gezackten Felsen hinauf. Reiter erhielten Anweisungen, schwangen sich auf die Pferde und galoppierten fort. Am Nordende des Tals der Säge marschierten Schwerbewaffnete auf.
Antigonos verspürte keinerlei Neugier, nur Leere. Trotzdem wandte er sich an einen punischen Offizier. »Was gibt es?«
»Sie wollen verhandeln – Spendius und die anderen sind am Ausgang.«
Antigonos rang mit sich; schließlich ging er langsam los. ›In tausend Jahren‹ dachte er, ›wenn Rom und Qart Hadasht und Athen und Alexandreia untergegangen sind, werden die Menschen noch immer von diesem Entsetzen, diesem unsagbaren Ekel reden.‹ Etwas zwang ihn, die Verantwortlichen für diesen furchtbarsten Frevel seit Bestehen der Welt zu betrachten. Er fühlte sich sehr elend; Brot und Fisch waren Bleiklumpen in seinem Magen.
Sie sahen erschöpft aus, aber nicht ausgehungert oder verdurstet. Sie waren verdreckt; die Bärte, Schöpfe und Kleider starrten vor Schmutz. Spendius war lang, sehnig, fast hellhaarig, mit dem Gesicht eines Sperbers – eines Raubvogels, der einem Adler gegenüber berechnete Demut an den Tag legt. Der kleinere stämmige Dunkelhaarige mußte Audarido aus Gallien sein; ein Muskel unter seinem linken Auge zuckte regelmäßig. Der Libyer Zarzas war kaum erkennbar; um den Kopf trug er ein blutbeflecktes Tuch, dessen Ende herabhing wie der Flügel eines geköpften Huhns und das halbe Gesicht verdeckte. Einen Schritt hinter den drei Führern standen weitere sieben – drei Libyer, ein Iberer, ein Sikehot, ein Ägypter und ein
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