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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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zu verzweifeln das Heer nach Libyen bringen würde, und wenn er alle Schiffe selbst bauen müßte; Hannibal Monomachos, der riesige, oft grausame punische Achilleus, der unter dem Himmel nur sich selbst zu fürchten brauchte; die edlen, reichen, gebildeten Punier Qarthalo, Bonqart, Himilko, die sich mit ihrem jeweiligen Vermögen Königreiche und Vergnügungsakademien im Inneren Libyens hätten schaffen können und es vorzogen, unter Hannibal zu dienen – sie alle hatten Angst, nagende zerrende wühlende Angst um das Leben des Lenkers und Vorbilds. Angst vor etwas, gegen das kein Panzer schützte, das nicht mit dem Schwert, der Lanze oder geschmeidigen Worten niederzukämpfen war: die Tücke einer Krankheit, die nach den ungeschützten und unersetzlichen Augen griff und sich von dort tiefer fressen mochte.
    Nach den Tagen im Sumpf, den Mühen des Marschs und der Anstrengung des Ordnens hatte Antigonos einige Stunden geschlafen, einen weiteren Tag mit dem Planen und Zuteilen von Vorräten, Lagerplätzen, Decken, Arzneien verbracht, dann volle zehn Stunden traumlos geschlummert. Er fühlte sich noch immer matt und spürte deutlicher als je zuvor, daß er einundfünfzig Jahre alt war. Aber vielleicht lag es an diesen Jahren, die er mit so vielen verschiedenen Dingen zugebracht hatte, daß er nun bei aller Erschöpfung frei war von der Angst, die die Offiziere lahmte und wie eine Dunstschicht über dem ganzen Heer lag.
    Er stand auf, leerte im Stehen seinen Becher und klopfte dem neben ihm aufschreckenden Muttines auf die Schulter. »Ich gehe zu ihm.«
    Der Raum jenseits des Gangs war halbdunkel. Hannibal lag auf einem breiten lederbespannten Holzbett, trug einen sauberen Chiton und hatte die Decken bis zum Bauch hinabgeschoben. Hände und Gesicht waren entspannt, die Augen mit weißen Tüchern verbunden. Neben dem Bett stand eine Schüssel; die Mischung aus Wasser und hundert Krautern füllte das Zimmer mit einem gleichzeitig erfrischenden und beunruhigenden Duft.
    »Söhnchen«, sagte Antigonos; er ließ sich auf der Bettkante nieder und nahm Hannibals rechte Hand. Sie war trocken und weder zu warm noch zu kalt. »Du solltest schreien oder singen oder ächzen, nach Wein und Weibern brüllen oder sonst etwas.«
    Der Stratege lächelte flüchtig und drückte die Hand des Hellenen. »Besorgnis, Tiggo?«
    »Deine Freunde. Sie wissen, was eine Schwertwunde ist, aber das hier und deine Zurückgezogenheit… Die besten Offiziere, die je ein Feldherr hatte. Wenn du in Babylon stürbest, würden sie dein Reich nicht aufteilen, sondern festigen und mehren.
    Aber jetzt sind sie wie Kinder, die sich davor fürchten, daß die Sonne untergehen könnte. Und zugleich sind sie groß und klug; deshalb wissen sie, daß diese Sonne wirklich nicht mehr aufgehen und alles in Finsternis zurücklassen würde.«
    »Ich weiß, Tiggo. Ich weiß, daß sie etwas fürchten, was sie nicht bekämpfen können. Aber es ging nicht mehr.« Die rechte Hand tastete nach den Binden. »Trocken. Kannst du…?«
    Antigonos half beim Abwickeln. Hannibal hielt die Augen geschlossen, während der Hellene die Binden in die Schüssel tauchte, halb auswrang und sie wieder um den Kopf schlang.
    »Seit dem Mord an Hasdrubal«, sagte der Stratege halblaut , »habe ich hin und wieder geschlafen, aber nie geruht. Vier Jahre, Tiggo. Die Züge gegen iberische Völker, Zakantha, der Iberos, die Pyrenäen, die Alpen, der Sumpf. Cornelius und Sempronius. Der Kopf, verstehst du? Zu voll; er wollte platzen. Deshalb. So viele Dinge… Gedanken, Bilder, alles… ich konnte keinen Muskel mehr bewegen.«
    »Besser? Hast du geschlafen?«
    Hannibal schüttelte vorsichtig den Kopf. »Besser, ja; aber ich kann nicht schlafen. Ich… nein, nicht ich – etwas denkt. Ich werde gedacht. Ordnen, bündeln, verstauen, Tiggo.«
    Er wirkte völlig entspannt und sprach halblaut weiter. Fragen waren dabei, die Antigonos zu beantworten oder hinwegzumutmaßen suchte. Das meiste waren jedoch Mitteilungen, Erörterungen, Gedankengänge, Gedankenspiele. Beherrscht, knapp, oft lakonisch, immer treffend formuliert – das Gefäß Kopf, das zu bersten drohte, ließ die Überfülle abfließen, nachdem es sie gesichtet und geprüft hatte. Kaum ein Wort über den Krieg, den Senat in Rom und den Rat von Qart Hadasht, den Wahnsinn der hellenischen Welt; diese Dinge mußten im Gefäß bleiben und gehörten nicht der Unterwelt des Fühlens, sondern den Kammern und Speichern des Denkens an. Antigonos war froh,

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