Hanibal
Mundwinkel nach unten und nickte langsam. Hinter ihm würde ein Teil des Trosses kommen, dann die Kelten, dann wieder Troß, am Ende die iberischen und numidischen Reiter. Jeder Kämpfer trug zu seinem üblichen Marschgepäck Vorräte für mehrere Tage. Die Härtesten und Besten, die unersetzlich waren und möglicherweise jenseits des Sumpfs Weg und Lager freikämpfen mußten, gingen über Pfade, die noch nicht zu sehr zertrampelt waren, hatten hinter sich den Troß greifbar und verhinderten eine Flucht der unberechenbaren Kelten nach vorn. Die Kelten, zwischen den beiden Gepäckzügen, quälten sich durch bodenlos aufgewühlten und zerstampften Grund; erstaunlich an ihren Verlusten war nur, daß sie nicht noch höher ausfielen. Zum Schluß kamen die Reiter, die eine Flucht der Kelten nach hinten unmöglich machten; für sie war der Boden entsetzlich, aber das betraf eher ihre Pferde. Oft bei den Reitern, manchmal unter den Kelten, selten an der Spitze war Hannibal zu finden; er saß auf Syros, was ihm einen gewissen Überblick erlaubte.
Die Tage im dampfenden Sumpf, in den sie immer wieder bis zu den Knien oder tiefer einsanken, zerstochen und zerfressen von Mücken, verbrannt von der stechenden Sonne, waren das Grauen. Aber die Nächte waren schlimmer, in denen die Kälte nach den durchnäßten und verschlammten Männern griff, die sich nirgendwo ausstrecken konnten. Leichtsinnige Schläfer oder Männer, die einfach zu erschöpft waren und sich auf den trügerischen Boden legten, versanken und erstickten im Sumpf. Gepäckstücke wurden mit Lanzen, Schwertscheiden und Schilden zusammengebunden; wenn hundert Kämpfer ihre Ausrüstung hergaben, konnten vielleicht dreißig darauf ruhen. Am besten schliefen jene, die den Kadaver eines gestürzten Packtiers als Bett nehmen konnten – wenn das Tier in Ufernähe verendet war. Unter dem eisigen Wasser fanden sich dort steinige Uferwege und Reste alter etruskischer Deichanlagen. Das ganze restliche Tiefland war überflutet, Sumpf, bodenlos. Hier und da ragten einzelne Bäume oder die Spitzen von Buschwerk aus dem braungrünen Dreck. Jenseits des Flusses war Dunst der Horizont, diesseits die schwarzbraunen Zacken und Scharten ferner Berge. Dahinter, unsichtbar und drohend, römische Festungen.
Ab der Mitte des zweiten Tags häuften sich die Verluste. Den Männern fehlten die Kräfte, sich aus Löchern, in die sie sanken, wieder herauszuarbeiten oder, wenn sie in den kalten Fluß gestürzt waren, wieder dorthin zu schwimmen, wo noch eine Art Boden unter dem Wasser war. Manche, naß und entkräftet eingeschlafen, wachten am Ende der eisigen Nächte nicht mehr auf. Fieber breitete sich aus. Packtiere starben kreischend, von ihren Lasten unter die Oberfläche gedrückt. Viele Pferde verloren die Hufe durch Krankheiten und Entzündungen. Der heiße Gestank und Dunst bei Tag, der kalte Sumpfgestank bei Nacht drang in die Atemwege der Menschen und Tiere, nie verkrustender Schlamm kroch in alle Lücken der Packen, der Rüstungen, der Wesen.
Die Ärzte waren nahezu machtlos. Immer wieder wühlten sie sich auf überanstrengten Pferden den zerquälten Zug entlang. In der zweiten Nacht fand sich Memnon für eine kurze Rast bei den Truppen an der Spitze ein.
»Er wird erblinden«, sagte er düster, als Antigonos nach dem Strategen fragte. »Die Feuchtigkeit, der Dreck, die Anstrengung – ich weiß nicht, wann er zum letzten Mal geschlafen hat. Beide Augen sind entzündet. Zehn Tage Ruhe, mit Kräutersud, Umschlägen, verbundenen Augen, in trockener Wärme – aber was soll man hier machen?«
»Bewußtlos schlagen und auf Syros festbinden.«
Memnon sog die Oberlippe zwischen die Zähne. »Wollte Mago auch, aber Hannibal hatte sofort das Schwert blank. Und dann hat er ihm einen Vortrag gehalten, so in der Art, was Mago tun soll, wenn vielleicht was passiert. Einen Vortrag über Flaminius – Trottel, hält sich für einen überragenden Strategen, weil er vor sechs Jahren gegen die Kelten nicht sofort vom Pferd gefallen ist, in seinem ersten Konsulat. Verträgt alles, bloß keinen Spott, und wird wild, wenn er das Gefühl hat, man unterschätzt ihn.« Memnon ächzte, stützte sich auf Antigonos’ Schulter und stand von dem Schild auf. Sofort sackte er bis zur halben Wade in den Schlick. »Ich muß wieder. Jedenfalls – du weißt Bescheid, Vater. Vielleicht hört er auf dich.«
Antigonos folgte Memnon mit den Blicken, als sein Sohn zu einem erschöpften Pferd watete. »Wenn wir
Weitere Kostenlose Bücher