Hanibal
hier raus sind« , sagte er müde. »Falls wir je hier rauskommen.«
»Dann ist es zu spät. Außerdem hat er für die Zeit schon wieder Pläne.«
»Scheußliche Schmerzen muß er haben.« Bei einer kurzen Rast in der Mittagshitze des dritten Tags, umgeben von Dunstschlieren und Mücken, bahnte sich Hasdrubal der Graue einen Weg zu den Befehlshabern der Spitze.
Hanno schwieg; Himilko breitete die Arme aus. »Was kann man nur machen? Er ist…« Er schluckte.
Hasdrubal blickte hinter einer vorbeitreibenden Leiche her; es mußte ein Kelte sein, den sichtbaren Stoff stücken nach.
»Eben. Er ist, wie er ist. Inzwischen kennt er, glaube ich, auch schon die Hälfte aller Kelten mit Namen. Und sorgt sich um jeden einzelnen. Verglichen mit ihm sind wir alle Barbaren ohne Gehirn und Gefühl. Würmer. – Er würde ja keinen Ton sagen, wenn man ihm das Bein absägt. Aber vorhin hat er gestöhnt und versucht, seinen Schädel mit den Fäusten zusammenzupressen. Seine Augen…«
Antigonos blickte unter halbgeschlossenen Lidern auf den gleißenden Spiegel des Wassers. Es war unerträglich, dieses Licht; unerträglich schon für gesunde Augen.
Am Mittag des vierten Marschtags verließen sie den Sumpf des Arnustals; das fruchtbare Weide und Ackerland südwestlich von Faesulae lag ein wenig höher, und die alten etruskischen Kanäle waren in gutem Zustand. Sie entwässerten die allzu feuchten Gebiete.
Kundschafter, seit dem Morgen in Abständen vorausgeschickt, meldeten, daß weit und breit keine römischen Truppen lägen. Sie hatten außerdem das ideale Lager gefunden, eine Art Wehrdorf – einen befestigten römischen Großgrundbesitz im Land der unterjochten alten Feinde, mit kleinem Fluß, großen Speichern und Scheunen, gewaltigen Herden und allerlei Gebäuden. Nach kurzer Beratung mit Antigonos suchten Hanno und Himilko Freiwillige und fanden sie, obwohl die meisten Libyer und Iberer kaum noch sitzen konnten. Mit zwei Gruppen von je etwa fünfhundert Mann brachen sie auf, nach Nordwesten und Nordosten, um das Wehrdorf zu umgehen, das Hinterland zu sichern und zu verhindern, daß alles Vieh weggetrieben wurde.
Mit den restlichen Leuten folgte Antigonos auf den Rat der Kundschafter hin Himilkos Gruppe, um das vorgesehene Lager fast von Nordosten zu erreichen. Auf diesem Weg, der nicht viel länger war als der direkte, blieb dem erschöpften Zug – ein Teil des ersten Trosses hatte bereits den Sumpf verlassen; die Spitze der Kelten erschien – der kleine Fluß erspart, durch den sie sonst hätten schwimmen müssen.
Als sie das römische Gut erreichten, war der Kampf bereits beendet. Die meisten Gebäude standen noch; nur ein Teil des Säulengangs im Nordosten, wo die Verteidiger bis zuletzt Widerstand geleistet hatten, war zerstört. An dieser Stelle lag die braune Erde brach oder hatte bereits eine frühe Ernte hinter sich; Antigonos lobte den Numider, der den Weg vorgeschlagen hatte. Möglichst wenig zu zerstören war sinnvoll, da so möglichst viel von den Feldfrüchten dem Heer erhalten blieb.
Unter anderen Umständen wäre es ein prächtiger Tag gewesen. Und ein prächtiger Anblick, als kurz vor Sonnenuntergang die Nachhut der Kelten, hier und da überholt von Reitern, sich wie eine endlose bunte Schlange dem Gehöft näherte. Alles war vorbereitet; Posten wiesen die Männer ein. Die kräftige Abendsonne ließ die fernen Apenninausläufer am Horizont näherrücken und in unwirklichem Blau aufleuchten. Weiße Wolkenballungen segelten träge nach Osten, vor dem milden Wind vom Sardonischen Meer. Mit seltsam leicht anmutenden weiten Schritten schob sich Syros an der Marschsäule vorbei, vorbei an zerstörten Außengebäuden und haltenden Numidern. Antigonos blickte durch den Säulengang hinaus, über die alte Steinbrücke, unter der einmal der umgeleitete Fluß geströmt war, zu den Hügeln, in denen der Schwanz der marschierenden Menschenschlange verschwand. Aus dem Innenhof huschte eine Katze, ließ sich auf einem geborstenen Säulenstumpf nieder. Die Luft war voll von Lärm und Gerüchen: Blut und Därme frischgeschlachteter Rinder, harziges Feuerholz, Klirren abgelegter Schwerter auf Ziegelboden, Scharren von Schöpfgeräten an den Wänden des gemauerten Brunnens, müde Stimmen, halblaute Gespräche, leises Gelächter.
Syros begann ein wenig zu schaukeln, als er den Schattensaum der Säulen erreichte. Die verschlammte Decke auf seinem Rücken war getrocknet und wie durch ein Wunder immer noch rot. Der
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