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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Abstufung von Unfreiheit, allenfalls. Warum, wenn es so ist, öffnet ihr dann nicht den Puniern die Tore?«
    Der Wirt hob entsetzt die Hände. »Nein! Niemals!«
    »Warum nicht?«
    »Erstens würden sich die Römer hier in der Burg verschanzen; die Stadt wäre sofort ein Schlachtfeld. Zweitens – kennst du die Punier, Herr?«
    »Flüchtig. Ein wenig. Wieso?«
    Der Wirt beugte sich vor und flüsterte: »Sie opfern und fressen kleine Kinder, die Punier. Ganz finsteres Volk.
    Barbaren.«
    »Und was sind die Römer?«
    »Noch schlimmere Barbaren. Das stimmt, Fremder. Aber mit ihnen streiten wir uns erst seit siebzig Jahren; mit den Puniern führen alle Hellenen schon seit, ach, was weiß ich? Fünf, sechs Jahrhunderte? Jedenfalls ewig; so lange haben wir mit ihnen schon Krieg.«
    »Und du meinst nicht, daß Rom, weil es schlimmer und näher ist, von Italioten und Puniern gemeinsam bekämpft werden müßte?«
    Der Wirt wackelte mit dem Kopf. »Das wäre vernünftig, Fremder. Aber wer hätte je davon gehört, daß über wichtige Dinge wie Krieg, Friede, Freiheit oder Knechtschaft vernünftig entschieden würde? Angst. Bequemlichkeit. Ehrwürdiges Herkommen. Wiederholung geheiligter Fehler der Ahnen. So etwas. Aber doch keine Vernunft!«
     
    Versteckt unter Heilkräutern, Dosen und Fläschchen brachte Antigonos fünf Talente in Gold zuerst vom Schiff an Land, dann aus der Stadt, trotz römischer Kontrollen. Mit vier Eseln zog er nordwärts, als hellenischer Krämer und Heiler. Die Summe – teils aus dem Barkas-Vermögen, teils aus seinem eigenen – entsprach etwa siebzig Talenten Silber oder zweihundertfünfzigtausend Schekeln: dreißig Tage Sold für fünfundzwanzigtausend Kämpfer. Mit seinen drei gemieteten Führern kam Antigonos gut voran; er zog daraus jedoch keine falschen Schlüsse – eine Truppe von dreitausend Numidern hätte sofort alle römischen Einheiten in Süditalien auf sich gezogen.
    Die Punier, so erfuhr er bald, hielten sich in Apulien auf, am Illyrischen Meer, nahe Salapia. Von dort konnte Hannibal jede größere Truppenverschiebung zwischen Rom und Süditalien unterbinden; er beherrschte außerdem die reichen Äcker Apuliens. Das Hauptlager schien sich in einer kleinen Burg namens Cannae zu befinden.
    Über dem ganzen Land lag eine seltsame Stimmung, und je näher Antigonos Cannae kam, desto greifbarer wurden die Gründe dafür, und desto deutlicher wurde die Natur der Stimmung. Apulische, bruttische, lukanische Bauern, mit denen er auf seinem windungsreichen Weg sprach, bekundeten durchaus Zuneigung zu dem punischen Strategen und seinem Unternehmen und tiefen Haß auf die römischen Unterdrücker; dennoch schätzten sie ihre Bereitschaft und die ihrer Landsleute, sich auf die Seite des Puniers zu schlagen, nicht sehr hoch ein. Seit Jahrzehnten fürchteten sie Rom und hatten immer wieder erfahren, wie schnell, hart und blutig der Senat Aufstände oder Freiheitsbestrebungen niederschlagen ließ. Mit gespannter Erwartung verfolgten sie die Ereignisse, mit Hoffnung auf einen Sieg Hannibals, gleichzeitig aber mit einem Gefühl von Ohnmacht und einer Vorahnung von Agonie; als ob kein Sieg der Punier etwas an der grundsätzlichen Überlegenheit Roms ändern könnte.
    Hinzu kamen die Zahlen. Ungeheure Zahlen. Die beiden Konsuln des Jahres, Lucius Aemilius Paullus und Gaius Terentius Varro, zogen bei Larinum das größte Heer zusammen, das jemals auf italischem Boden gestanden hatte. Acht römische Legionen und acht Legionen Bundesgenossen, zusammen über achtzigtausend Mann Fußvolk und sechstausend Reiter. Die große Schlacht, so hieß es, stehe unmittelbar bevor, und die Punier verfügten nicht einmal über die Hälfte dessen, was die Römer aufboten.
    Eine Nacht lang rang Antigonos mit sich. Die Zahlen, immer wieder von anderen wiederholt und bestätigt, schienen einigermaßen zuverlässig. Ein kleineres Heer mochte ein größeres besiegen, wenn es von Rüstung und Ausbildung her überlegen war, wie die Makedonen des Alexandros den Persern, aber niemand war den Legionen überlegen; oder wenn es mit Überraschung, List, Hinterhalt arbeiten konnte, was auf den weiten, überschaubaren Ebenen Apuliens nicht möglich war. Hannibals Kunst mochte die unvermeidbare Katastrophe bestenfalls abschwächen – und dann? Kein fester Stützpunkt, kein Hafen für einen Rückzug über See. Der Sieg der Konsuln würde die ohnehin geringe Unterstützung der südlichen Italier und Italioten für Hannibal beenden. Die

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