Hanibal
Kämpfern zehntausend mit einer starken Flotte an die illyrische Küste, dort nach Absprache zusammen mit Philippos von Makedonien den Hafen Apollonia erobern und sichern, dann das Heer und makedonische Verbände nach Italien übersetzen. Die restlichen dreißigtausend Krieger und genug Silber sofort ohne Bedingungen zu Hannibal nach Italien. Dies im Frühjahr, und im Herbst wäre der Krieg beendet. Keine Truppen nach Sardonien oder Sizilien – die dortigen Legionen und Schiffe würden von den Römern sofort abgezogen werden, wenn Rom selbst in ernste Gefahr geriete.
Aber es war wie ein Flüstern im Sturm, eine Kerze im gleißenden Mittag, ein Pusten gegen die Grundsteine der Pyramiden. Und was an verdeckten Dingen im Rat und in der Oberschicht von Qart Hadasht ablief, ahnte Antigonos nicht einmal.
Es war im frühen Sommer, im fünften Jahr des Kriegs. Vor vier Jahren zu dieser Zeit war Antigonos mit Hannibals Heer nördlich des Iberos zu den Pyrenäen gezogen. Nun saß er Bostar gegenüber im riesigen Arbeitsraum der Bank und berechnete Verluste. Eine kleine römische Flotte, Überfälle auf die punische Küste, versenkte oder erbeutete Lastschiffe; unangenehmer Alltag in diesem Krieg, der die gesamte westliche Hälfte der Oikumene umfaßte.
Bostar trug ein beißend grellgrünes Gewand; immer wieder blickte Antigonos von seinen Rollen hoch. Durch die Fenster drang der Lärm und Ruch des Hafens – kreischendes Holz unter der Säge, heißes Pech, Schritte, Hämmern, das Schreien und Fluchen von tausend Arbeitern, der unersetzliche köstliche Duft von Brackwasser und faulem Fisch. Antigonos runzelte die Stirn und grübelte einige Zeit, bis er sich an das Kaschemmengedicht erinnerte, das mit diesen Gerüchen begonnen hatte. Seit Jahren schwieg der Dichter – die Dichterin? Die schmächtige Punierin, die Antigonos damals des Verfassens verdächtigt hatte, mochte noch leben oder gestorben sein, er wußte es nicht. Es gab viele Künste und viele Künstler; das alte Haus der Familie im Viertel der Metöken war zu einer Begegnungsstätte der Schreiber, Maler, Bildhauer und Musiker geworden, und die Bank verdiente gut an ihnen. Die Künstler hatten ebenfalls keinen Grund zur Klage; ohne Antigonos und seine Verbindungen, sein Auge, seinen Geschmack hätte der Bronzekünstler Boethos kaum so üppig leben können. In Qart Hadasht erzielten seine Werke Preise zwischen zwei und drei Minen; hundertfünfzig Schekel waren ein großer Erfolg. In Athen und Alexandreia bezahlte man für seine Sitzenden Melqarts – die dort als Sitzender Herakles galten –, seine springenden Löwen oder seine unvergleichlich aufregenden Aphroditen (die Libyerin, mit der Boethos zusammenlebte, war das aufregendere Vorbild) inzwischen das Zehnfache; ein Fünftel für die Bank. Vor kurzem hatte ein Mittelsmann Hannos des Großen eine Tanitbüste erworben.
»Woran denkst du – wovon träumst du, blöder Hellene?« Bostar blickte zu ihm herüber, mit gerunzelter Stirn; er kaute auf dem Ende seines Schreibhalms.
»An Kunst, punischer Lehmkopf, denke ich, und träume von Tagen der Fülle und des Friedens. Hanno hat eine Tanitbüste kaufen lassen, von Boethos.«
»Hanno kauft noch ganz andere Dinge, mein Lieber; aber beweisen kann man es nicht.«
»Was meinst du?«
Bostar kratzte sich die Brust; das grellgrüne Gewand knirschte unangenehm. »Ich meine die seltsamen Unfälle.«
Antigonos blinzelte. »Erkläre dich, o Freund. Ich vermag dir nicht zu folgen.«
»Vor drei Monden ist der Ratsherr Mutun ertrunken. Richtig?«
»Richtig. Er konnte nicht schwimmen.«
»Warum hat er sich dann auf dem See von Tynes herumgetrieben? Und vor zwei Monden ist ein Pferdegespann durchgegangen – zufällig zu dem Zeitpunkt, als der Ratsherr Shymnalo die Straße überquerte. Er wurde von den Hufen und von den Rädern des Karrens zerdrückt.«
»Worauf willst du hinaus?«
Bostar wackelte mit dem Kopf. »In den letzten dreizehn Monden sind elf Ratsherren durch derartige Unfälle umgekommen oder haben schlechten Fisch gegessen oder so etwas. Zwei waren Barkiden, einer war von Hannos Leuten, die übrigen eher unentschieden. Aber alle, o Antigonos, waren alt – an der Schwelle zum Rat der Ältesten. Von den hohen Dreißig sind vier auf natürliche Weise gestorben; durch die Unglücksfälle bei den anderen kam es, daß die vier, die in den Rat der Ältesten aufrückten, sämtlich Leute von Hanno sind. Und Hanno vergräbt sich seit einem Jahr in seiner Stadtfestung,
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