Hanibal
verschleudert. Was jetzt geschieht, bestimmt nicht der Rat von Qart Hadasht, bestimmen nicht die Ältesten oder die Richter. Was jetzt geschieht, bestimmen nur noch drei: die Waffen, Publius Cornelius und euer Stratege.«
Neben vielen anderen Gedanken und Erkenntnissen kreisten Antigonos’ strudelnde Nächte der Schlaflosigkeit immer wieder um drei Punkte, Löcher in seinem Kosmos. Publius Cornelius Scipio; die Flotte; Hanno.
Cornelius war ein zäher, harter, kluger Mann. Nach allem, was Antigonos in fast einem halben Jahr der Gefangenschaft gesehen hatte, war er bereit, den Römer neben die fähigsten Unterführer aus Hannibals unvergleichlichem Stab der ersten Kriegsjahre zu stellen: Maharbal, Muttines, Hasdrubal den Grauen; vielleicht auch Mago. Aber Cornelius verfügte über acht Legionen, dazu die ebenfalls seit Jahren kampferprobten Krieger von Masinissa. Was mochte Hannibal noch dagegenstellen können, an alten Kämpfern und Neuwerbungen aus dem ausgezehrten Hinterland? Die Römer würden nicht nur um den Sieg, sondern um die Herrschaft über die Oikumene kämpfen – und um ihr nacktes Leben; Hannibals Truppen konnten nach einer Niederlage immer noch fliehen, und das höchste Ziel der letzten Schlacht würde allenfalls ein ehrenhafter Friede, ehrenhafte Freiheit für Qart Hadasht sein.
Die Flotte quälte den Hellenen. Offenbar fürchteten sich die Römer vor den punischen Kampfschiffen, die während des ganzen Kriegs nur einmal, im letzten Jahr vor Ityke, zum Kampf eingesetzt worden waren. Es mußten sehr viel mehr sein, als Antigonos bisher angenommen hatte. Wie ließe sich denn sonst erklären, daß es zwei punischen Heeren, von Ligurien und Bruttium aus, gelungen war, unbehelligt Libyen zu erreichen? Was, wenn endlich der Rat… Aber der Rat würde nicht, weder endlich noch unendlich.
Aller Haß, zu dem Antigonos fähig war, alle Feindschaft, die er trotz Ekels und trotz Widerwillens den Römern gegenüber nie empfunden hatte, richtete sich, je länger die schlaflosen Nächte und je schlafloser die langen Nächte wurden, gegen die Ratsherren von Qart Hadasht, ihre Gier, ihren Geiz, ihr Mißtrauen, ihre Ränke, ihre hunderttausendfache Vergeudung von Menschen, von Mitteln, von Möglichkeiten. Im Brennpunkt des ungeheuren Hasses, der immer schärfer und immer kälter wurde, stand Hanno. Hanno der Große, den damals nicht zuerst getötet zu haben, statt des unseligen Sklaven, Antigonos für den größten Fehler seines Lebens, vielleicht den schlimmsten Fehler in der langen Geschichte von Qart Hadasht hielt. Der zweitgrößte Fehler, dessen war er sich inzwischen sicher, war es gewesen, daß er Hamilkar und Hasdrubal den Schönen nicht zur gewaltsamen Machtübernahme gedrängt hatte, nach dem Libyschen Krieg. Asche von vorgestern. Aber diese Asche rieselte noch immer und bedeckte die Köpfe der Heutigen.
Der Frühling kam, dann der Sommer. Cornelius Scipio blieb oft lange fort, kehrte immer wieder zum Gut zurück, das auch während seiner Abwesenheit scharf bewacht wurde. In den von Roms Posten bestimmten Grenzen konnten Antigonos’ Sklaven, Knechte und Pächter die Felder bestellen; Vieh zu hüten gab es nicht mehr. Zunächst widerstrebend, dann ergeben ins Unabänderliche aß der Hellene mit den römischen Offizieren von dem, was ihre Leute aus dem Land zusammentrieben. Das alte libyphönikische Ityke trotzte der Belagerung; Qart Hadasht ebenfalls, wenngleich – so weit den römischen Meldungen zu trauen war – unter Schwierigkeiten. Durch das Lager bei Tynes und die römischen Streifen war der Isthmos nicht mehr bewohnbar; die Felder und Gärten trugen zur Ernährung der Römer bei. Wie in den schlimmsten Tagen des Libyschen Kriegs drängten sich fast siebenhunderttausend Menschen hinter den mächtigen Mauern; die Stadt war eng und unruhig, es kam zu Plünderungen und Kämpfen, wenn die Plünderer aus Hunger, Gier oder Wahn Stadtpaläste angriffen, die von den Wachtruppen der Reichen gehütet wurden. Antigonos hoffte, daß seine Schwester Argiope in der Megara war, bei ihrer alten Freundin Salambua, hinter den Mauern des barkidischen Palasts. Argiope hatte sich zufällig in der Stadt aufgehalten, als die Römer landeten, und sie war nicht auf das Landgut zurückgekehrt.
Mit Erlaubnis des Corneliers hatte Antigonos Bostar mitgeteilt, daß er noch lebe, und Bostar hatte den Empfang der Mitteilung knapp bestätigt. Aber Scipio lehnte es ab, Antigonos freizugeben oder unter Bedeckung bis zur Stadt
Weitere Kostenlose Bücher