Hanibal
Belagerer vor Ityke und Tynes zu Belagerten machen, einschnüren und aushungern konnte. Und nach seiner Kenntnis der punischen Innenwelt nahm der Hellene an, daß in Qart Hadasht Unruhe, Knappheit, Ungeduld herrschten; daß Hannibal einen langwierigen Zermürbungskrieg einer Entscheidungsschlacht vorzöge, aber damit rechnen mußte, daß Hanno der Große und Hasdrubal der Bock, denen wohl kein gleichgroßer Barkide gegenüberstand, bei Verlängerung des Schwebezustands immer mehr Ratsherren und Vollbürger auf ihre Seite ziehen würden: Absetzung des Strategen, Friede um jeden Preis – und der Preis mußte noch höher sein als beim gebrochenen Vertrag.
Boten, immer wieder Boten. Vermina kam, war aber noch weit fort. Masinissa kam, kam nicht, kam doch. Ein Botschafter von Hannibal – der Stratege schlug eine Unterredung vor. Cornelius zögerte; am nächsten Tag kam Masinissas Vorhut, aber der Massyler brachte nicht die erhofften zwanzigtausend Reiter, nur etwa sechstausend Fußkämpfer und viertausend Reiter.
Römer und Numider marschierten nach Zama. Antigonos ritt als bewachter Gefangener im Stab des Corneliers mit. Er versuchte mehrfach und unauffällig, mit Masinissa ins Gespräch zu kommen; Scipio schien alles zu ahnen oder auch zu sehen und sorgte dafür, daß der Hellene und der Numider nie allein waren.
An einem heißen trockenen Herbsttag erreichten sie Naraggara; Scipio schickte Hannibal einen Boten und nannte seine Bedingungen, Ort und Zeit für ein Gespräch. Der Punier verließ mit seinem Heer Zama und schlug kaum sechstausend Schritte von den Römern entfernt sein Lager auf.
Kaum jemand schlief in dieser Nacht. Abends kam es zu einer erregten Auseinandersetzung zwischen Masinissa und Scipio. Antigonos hatte in Hörweite des Numiders geäußert, an dem Gespräch mit Hannibal sollten beide verbündeten Feldherren teilnehmen. Cornelius ließ den Hellenen daraufhin unter scharfer Bewachung in ein Zelt bringen. Am Morgen, am bleichen Morgen nach weißer Nacht, in der der bloße Name des punischen Strategen fast alle Römer wachhielt, teilte ein blasser Cornelius Scipio dem Hellenen mit, wer zur Unterredung gehen würde.
»Masinissa bleibt hier. Der Punier soll ihn nicht einwickeln.
Aber du kommst mit.«
Antigonos ließ beinahe den Becher fallen. Im römischen Lager gab es warmes säuerliches Dünnbier zum Frühstück.
»Was?«
Scipio nickte. »Als Dolmetscher.«
»Ihr braucht keinen. Du sprichst die Koine, Hannibal auch. Außerdem kann er Latein.«
»Du kommst mit.«
Sie trafen sich in der Mitte der weiten Ebene zwischen den Lagern. Bei der langsamen Annäherung stutzte Hannibal einen Moment; wahrscheinlich, als er Antigonos erkannte. Bis sie einander gegenüberstanden, war von Überraschung oder Entsetzen nichts mehr zu sehen. Das Gesicht des Strategen, der eine schwarze Augenklappe trug, schien aus dunklem Marmor geschnitzt, mit feinsten Werkzeugen.
»Kein Verrat, Junge«, sagte Antigonos. »Ich bin sein Gefangener.« Er wollte die Arme ausstrecken, aber Cornelius hielt ihn zurück und deutete auf den Boden.
»Du hast einen sehr treuen und überaus verschwiegenen Freund, großer Punier. Ich fürchte, er weiß inzwischen mehr von mir als ich von ihm.« Scipio sprach Hellenisch.
Hannibal schob den schlichten Kesselhelm ein wenig zurück und ließ sich auf dem staubigen Boden nieder. Gegen die glänzende Rüstung des Römers – verzierter Muskelpanzer, hoher Helm mit rotem Busch, roter Feldherrnmantel – wirkte Hannibals bronzebesetzter Lederpanzer schäbig. Aber wo der punische Stratege sich niederließ, war der Mittelpunkt der Ebene, Libyens, der Oikumene.
»Ave.« Mehr sagte Hannibal nicht; er betrachtete den zwölf Jahre jüngeren Römer.
Scipio verschränkte auf dem Schoß die Finger; Antigonos , seitlich von ihm, sah die weißen Knöchel.
»Ich habe lange auf diese Begegnung gewartet«, sagte der Römer. »Mit dem Schwert oder mit Worten dir gegenüberzustehen oder zu sitzen.«
Hannibal neigte knapp den Kopf. »Eure und unsere Götter , der Zufall und der Verlauf der Dinge haben es nicht eher zugelassen. Seit deiner großartigen Eroberung des neuen Karchedon in Iberien habe ich gewünscht, dich zu sehen. Ohne Schwert, Cornelier; wir brauchen uns nicht aneinander zu messen. Die Oikumene weiß, daß wir gleich groß sind.«
Dünn in der heißen windstillen Luft hörten sie von Hannibals Lager her Elefanten trompeten. Scipio blickte an dem Punier vorbei.
»Wir werden uns messen
Weitere Kostenlose Bücher