Hanibal
Nichts zerfetzt werden würde, wenn Qart Hadasht Hannibal alle Möglichkeiten endlich endlich endlich gab. Masinissa hatte einst ein Freundschaftsbündnis mit Hasdrubal Barkas geschlossen, nicht mit Qart Hadasht; der Massyler würde nach einem punischen Sieg einen Ausgleich und einen Bund mit Hannibal suchen, dem Bruder des toten Freundes.
Scipio wußte es; der Römer wußte auch, daß vier Jahre nach seinem iberischen Triumph die iberischen Völker der sanften punischen Herrschaft nachtrauerten und sich sofort wieder erheben würden; und daß Rom eine neue Landung des großen punischen Strategen in Italien nicht überstehen konnte. An dieser Stelle seiner Überlegungen begriff Antigonos auch, weshalb der römische Krieger den punischen Metöken so sicher und streng bewachen ließ. Antigonos hatte einmal durch seinen Auftritt im Rat und viele Male durch Gespräche mit einzelnen Ratsherren Entscheidungen herbeigeführt. Der Hellene konnte nicht wissen, was genau in Qart Hadasht vor sich ging; aber offenbar wußte Scipio genug um zu befürchten, daß der Herr der Sandbank die große endgültige Wende bewirken würde.
Antigonos teilte diese Furcht nicht, die für ihn eine Hoffnung gewesen wäre. Im Jahr der Schlacht von Cannae hatte er die Niederlage vorhergesagt, für die nächsten fünf oder sechs Jahre. Hannibals überragende Kunst war stärker gewesen als die wahnsinnigen Beschlüsse der punischen Ratsherren. Jetzt, vierzehn Jahre nach Cannae, fünf Jahre nach Hasdrubals Tod, vier Jahre nach dem Verlust Iberiens, war dieser erbarmungslose Krieg noch immer zu gewinnen. Publius Cornelius Scipio hatte recht. Aber er brauchte sich keine Sorgen zu machen; die Römer brauchten sich nicht zu fürchten. Sie konnten sich, jetzt wie vor zehn oder fünfzehn oder fünf zig Jahren, auf den Rat und die Ältesten von Qart Hadasht verlassen.
Nach einem langen verwinkelten Gespräch in einer Nacht des frühen Sommers entdeckte Cornelius den Behälter für frische Schreibhalme auf Antigonos’ Tisch. Mit einem Blick bat er um Erlaubnis; dann nahm er die Halme heraus und strich mit den Fingerkuppen über die verzierte, geschnitzte Schale.
Das Straußenei war innen vergoldet; außen zeigte es Einzelheiten aus dem Fahrtbericht des großen Seefahrers Hanno – den qualmenden Götterberg, die behaarten Wilden, die er gorilla genannt und deren abgezogene Felle er dem Tempel des Baal geschenkt hatte, die Gründung des Orts auf der Insel Kerne. Es waren winzige Bilder von fast schmerzhafter Deutlichkeit. Das obere Viertel der Schale fehlte; der Rand glich einer grobseidenen Purpurborte, war aber ebenfalls geschnitzt. Das Ei stand in einem Fuß aus hauchdünnem Gold mit getriebenen Ranken – Ranken und Blüten fantastischer Pflanzen.
»Wie macht ihr das nur?« murmelte der Römer. »Es ist wunderbar–in ganz Italien gibt es nichts Vergleichbares.«
»Ich schenke es dir – für einen ehrenhaften Frieden mit Hannibal; einen Frieden, der uns Luft zum Atmen und Muße zum Schnitzen läßt.«
Cornelius stellte die Schale zurück auf den Tisch.
Der Sommer verging mit kleineren Gefechten; hier wurde ein Ort besetzt, dort ein Schiff aufgebracht. Aber Qart Hadasht setzte die Flotte nicht ein, Ityke blieb belagert, das römische Lager bei Tynes wurde nicht angegriffen. Hanno der Große und Hasdrubal der Bock konnten keine neue Friedensgesandtschaft zusammenbringen, aber sie verhinderten die völlige Übergabe der Stadt und aller Mittel an den Strategen. Tychaios, Fürst der numidischen Areakiden, stieß mit etwa zweitausend Reitern zu Hannibal; Vermina, Sohn des Syphax, brach mit starken Kräften im Westen Libyens auf, um ins Lager des Strategen zu ziehen.
Publius Cornelius Scipio verließ das Landgut; diesmal endgültig. Und er nahm Antigonos mit. Die Entscheidung stand bevor. Hannibal hatte Hadrymes an der Ostküste verlassen und war ins punische Kernland marschiert, in die fruchtbaren Ebenen bei Zama. Der Cornelier mußte schnell handeln. Antigonos wußte nicht, was in Rom und Qart Hadasht geschah, entnahm aber undeutlichen Äußerungen Scipios, daß nach einem Jahr der Tatenlosigkeit der Senat den Befehl in Afrika, wie die Römer Libyen nannten, einem anderen übertragen könnte. Zu diesem Problem des Ehrgeizes kam ein Problem der Kriegführung: Auch mit seinen beschränkten Mitteln verfügte Hannibal inzwischen offenbar über ein starkes Heer, das im Winter die römische Versorgung aus dem libyschen Hinterland abschneiden, die
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