Hanibal
eine furchtbare gezackte Narbe; das schwarze Haar war kurz, wie eine zweite Haut. Sie war fast olivfarbig; die Augen hatte sie nicht geschminkt, aber die Wangen mit Ocker und Kalklinien in verwirrenden Mustern gestriemt. Im linken Nasenflügel steckte ein goldener Ring, der breite Mund war grellgelb. Antigonos konnte sich kaum losreißen von der bannenden Häßlichkeit des Gesichts, das in einem Moment zur kalten Maske erstarrte, im nächsten mystische Verzückung, innige Freundschaft oder malmende Begehrlichkeit ausdrückte. Die Nägel an Fingern und Zehen waren schwarz lackiert, besetzt mit winzigen Silberteilchen, die im Licht der Fackeln und Öllampen glitzerten. Der schlanke, schlangenartig biegsame Körper wurde durch das durchsichtige ägyptische Priestergewand aus dünnem Leinen enthüllt. Sie tanzte, spielte Kithara und Lyra, bei einigen ruhigen Stücken ohne Worte auch ein einsaitiges Instrument ohne Namen, mit hohlem, unten offenem Holzkörper und langem dünnen Steg.
Und sie sang. Die Stimme kreischte und streichelte, wimmerte und gellte, knurrte und gurrte, voll und sicher in den tiefen Tönen, eisig und genau in den Höhen. Die Stücke waren Antigonos meist gleichzeitig vertraut und fremd. Teile eines getragenen ägyptischen Hymnos wandelten sich von Anrufung und Preis zur Verspottung der Götter, durch den harten beschleunigenden Rhythmus, das Kicksen und Blubbern des feuchten Lappens auf der Bronzescheibe und die kreiselnden Beckenbewegungen der Ägypterin. Bekannte hellenische Lieder – die weitgereisten punischen Kaufleute im Saal hatten keine Schwierigkeiten, den Wörtern zu folgen – änderten ihr Wesen völlig, wenn die Musiker die ursprünglichen Melodien etwa durch klagende Weisen aus den thrakischen Bergen ersetzten. Ein betont elegantes, fein gedrechseltes Liebeslied eines unbekannten Hellenen löste brüllendes Gelächter aus – die Ägypterin sang es mit einem grobschlächtigen lateinischen Akzent, und die Musiker verloren immer wieder den Takt.
Das vorletzte Lied vor der Pause wahrte Melodie und Rhythmus der ursprünglichen Fassung, aber Sapphos Verse waren sehr geschickt ins Punische übertragen. Die Ägypterin heftete die dunklen Augen auf Antigonos, der fast vor ihr saß.
Glücklich gilt, Unsterblichen gleich, der Mann mir, der dir dort so dicht gegenüber sitzt und deine süße Stimme vernimmt, zugleich dein reizendes Lachen
hören darf. Wahrhaftig, das peinigt in der Brust mein Herz zu flatternden Schlägen. Sehe ich dich nämlich flüchtig nur an, so stocken jäh mir die Worte ,
mehr noch, meine Zunge zerbirst, ein zartes Flackern rieselt unter der Haut entlang mir, meine Augen können nicht sehen, dumpf nur dröhnen die Ohren ,
Schweiß rinnt mir in Strömen herab, ein Zittern packt von Kopf zu Fuß mich…
Antigonos genoß die dramatische Darstellung, hob nur leicht eine Braue und den linken Mundwinkel. Als die Musiker vor dem letzten Stück Plätze und Instrumente wechselten und sich flüsternd berieten, winkte er einer Schanksklavin und ließ sich eine Silberplatte mit drei Bechern voll von syrischem Wein bringen. Aus Brot formte er einen kleinen Phallos, den er an den mittleren Becher lehnte.
Später war ihm diese Kneterei ein wenig unheimlich. Dabei war das nächste Stück zu Beginn nicht zu erkennen – ein alter hellenischer Erntegesang, Hymnos an das göttlich Fruchtbare.
Aber die Musik war anders. Er hatte von arabischen Karawanenmännern, ein paar Tagereisen hinter Petra, eine ähnliche Melodie gehört, ein drängendes, gieriges Schreien nach Wasser, ein Flehen an die Götter, daß die nächste Quelle im gnadenlosen Sand reich und labend sein möge. Die Ägypterin spielte dumpf das einsaitige Instrument, der alte Mann eine Metallflöte, der Eunuch ließ einen Knochen über das Fell der Trommel huschen und kullern. Lange, lange steigerte sich die Musik, bis endlich die Ägypterin die hellenischen Wörter schrie, mit endlosen arabischen Trillern und Gleittönen und Knacklauten tief in der Kehle.
Stimmt an das Lied, stimmt an, schafft weiten Raum dem Gott! Es will ja doch die Gottheit dick angeschwollen, aufgereckt , durch eure Mitte wandeln, wandeln.
Die Gegensätze von Worten, Musik und Vortrag waren so gewaltig, daß die unbehaglich beeindruckten Zuhörer die Pause fast erleichtert begrüßten. Antigonos stand auf und ging mit seiner Platte zum Podium, wo er dem Eunuchen und dem alten Mann je einen Becher gab und dann der Sängerin das ganze
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