Hanibal
Bürgern verteidigte numidische Stadt Thiouest, die die Hellenen Hekatontapylos nannten, belagerte, eroberte und bis auf die Grundmauern zerstörte. Alle Bewohner wurden getötet.
Hamilkar setzte mit unzureichenden Kräften seine blitzartigen Angriffe und Rückzüge auf Sizilien fort. Die verkleinerte Flotte konnte nicht verhindern, daß die Römer mehrere neue Legionen über die Meerenge zwischen Italien und Sizilien brachten. Sie gingen nun umsichtiger vor und drängten Hamilkar langsam zurück in den Westen der Insel. Kshyqti war mit Dienern, den Mädchen und Hannibal nach Lilybaion gefahren; Antigonos sah lange Zeit nichts von ihnen, da sie auch im nächsten Winter nicht nach Qart Hadasht zurückkehrten.
Die Strategen wurden abermals bestätigt – in Hamilkars Fall sogar in Abwesenheit; Hanno, ganz Großmut und Heimatliebe , sorgte dafür, daß ganze viertausend Mann zusätzlich nach Sizilien geschickt wurden – viel zu wenig. Die Flotte wurde noch immer nicht wieder ausgebaut.
Im nächsten Sommer, als Hannibal zwei Jahre alt wurde, erreichte Antigonos ein Schreiben aus Lilybaion. Es lautete:
»Gepriesen sei der Gott von yama, gepriesen unser Freund Antigonos. Es grüßen Hamilkar, Kshyqti, Salambua, Sapanibal, Hannibal und Hasdrubal.«
Im folgenden Frühjahr – er hatte den zweiten Sohn noch immer nicht gesehen – konnte Antigonos endlich nach Alexandreia reisen, fast drei Jahre, nachdem er Isis verlassen hatte.
Das Holzhaus am Strand stand nicht mehr. Er mußte lange suchen und fragen, bis er schließlich von einem zahnlosen Bettler durch ein Gewirr von Gassen in den schäbigsten Teil von Kanopos geführt wurde, dorthin, wo die alten verbrauchten Tänzer, Sänger und Gaukler lebten. In einem kaum eingerichteten Zimmer unter dem Dach fand er Isis.
Das Gesicht schien unverändert, aber die Stimme klang, als müsse sich der Schall über glimmende Kohlen ins Freie quälen.
Sie trug einen weiten Umhang, und sie weinte, als Antigonos eintrat.
»Warum hast du nicht geantwortet?« Er war erschüttert über die Veränderungen, die er zu ahnen begann. Der ehemals schlanke Körper schien den Raum unter dem Umhang auszufüllen.
»Was hätte ich dir schreiben sollen? Das hier?« Sie deutete auf den Raum, auf das schäbige Lager, auf sich.
»Ich hätte dir wenigstens Geld schicken können«, sagte er leise. »Und wenn ich gewußt hätte… ich wäre sofort selbst gekommen, Krieg oder nicht Krieg.«
Sie hob die Schultern, langsam, als ob ihr die Bewegung Schmerzen bereitete.
Antigonos rümpfte die Nase. »Was riecht denn hier so?«
Isis schloß die Augen. »Flöte und Lyra«, murmelte sie.
»›Dazu möchte ich singen, solange ich lebe; und sterb ich, legt mir die Flöte ans Haupt und legt mir zu Füßen die Lyra‹. Beide sind verkauft, und diese Stimme – und das…« Sie öffnete den Umhang.
Antigonos kämpfte das Würgen nieder. Er dachte an den schlanken Leib, die Tage und Nächte der Liebe, erinnerte sich plötzlich mit furchtbarer Deutlichkeit an die kleinen Knoten, die er vergessen hatte, und betrachtete die entsetzlichen Schwellungen, Beulen und Schwären. Sanft zog er den Umhang zu und küßte den zuckenden Mund der Ägypterin.
Sie schlug die Augen auf; sie waren trocken. »Alle Tränen sind geweint«, sagte sie rauh. »Komm.«
Ratlos folgte er ihr aus dem Zimmer, die Treppe hinab, in die nächsttiefere Wohnung. Eine verschmutzte alte Frau warf ihnen nur einen Blick zu, machte sich dann wieder an der Feuerstelle zu schaffen. Isis ging ins Nebenzimmer. Auf dem Boden hockte ein Junge, nackt, ungewaschen, unterernährt.
»Zwei Jahre und vier Monde«, sagte sie. »Memnon habe ich ihn genannt.« Dann schwankte sie und hielt sich an der Wand fest.
* * *
Die tote Geliebte blieb ein schmerzhaft gleißendes Licht; die tote Mutter wurde zu einer dämmerigen Erinnerung. Memnon wurde kräftiger, sprach mehr und lebte sich in Qart Hadasht ein. Die Familie nahm ihn auf; Antigonos war häufiger im alten Haus im Viertel der Metöken, und Arsinoe kümmerte sich liebevoll um den Sohn ihres Bruders. Fast die Hälfte des Jahres, vor allem die Zeit der ärgsten Sommerhitze, brachte Memnon jedoch auf dem Land zu, im kleinen Gutshaus an der Küste, wo er mit Antiopes Kindern spielen, in der Bucht baden, Felder und Wälder durchstreifen und die Tiere der Nachbarhöfe besuchen konnte. Vor allem gab es dort Apama, die den unerwarteten Enkel aus der Fremde, dessen Mutter sie nie gesehen hatte, besonders ins Herz
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