Hanibal
Pfeil jaulte davon, schien sich in die Schildmitte bohren zu wollen. Plötzlich begann er zu flattern: Ein Windstoß traf die Befiederung, der Schaft aus Zedernholz streifte den Schildrand, die Eisenspitze bohrte sich rechts hinter der Palme in den Sand.
»Na gut.« Antigonos löste die Sehne. »Ich gebe auf.« Er berührte eine Stelle oberhalb der ledernen Griffumwicklung.
Eines der Hornplättchen, die das Holz versteiften und die Spannung erhöhten, begann sich zu lösen.
Hasdrubal winkte dem Sklaven, der am Wagen lehnte.
»Einsammeln. – Speere? Ah, das hat auch keinen Sinn.« Antigonos rieb sich die rechte Schulter. »Nein. Laß uns einen Schluck Wasser trinken und reiten; alles andere ist heute zwecklos.«
Sie gingen zum Wagen. Hasdrubal nahm die Lederflasche , entstöpselte sie und reichte sie dem Hellenen. Aus dem Wasser der seichten Bucht peitschte der Wind Schaum; es gab sogar kleine Wellen, die am Ufer verrieselten.
»Du kannst zurückfahren«, sagte Hasdrubal. Der Sklave, der den Schild und einen Köcher zum Wagen brachte, nickte.
»Außerdem – wozu diese Kampfübungen, jetzt, da der Krieg vorbei und verloren ist?« Der junge Punier grinste.
»Damit du für deine feuerhaarige Freundin in Form bleibst«, sagte Antigonos. »Und damit ich nicht zu fett werde.«
»Wohl wahr. Komm.« Hasdrubal rückte den Gürtel über seinem weißen Chiton zurecht, schwang sich auf den nackten Rücken des numidischen Hengstes und ergriff den Zügel. Er wartete, bis Antigonos bereit war; dann hieb er dem Tier die Sandalen in die Flanken.
Er war erst neunzehn, Sohn einer der reichsten und angesehensten Familien der Stadt, und trotz seiner Jugend bereits einer der wichtigsten Männer von Qart Hadasht. Ein halbes Jahr hatte er als Unterführer der Reiterei bei Hamilkar auf Sizilien verbracht, die Innen und Außenseite der Dinge begriffen und war dabei, der kluge und gerissene Kopf zu werden, den die »Neuen« so dringend brauchten. Zumindest solange Hamilkar sich nicht ausschließlich um Intrigen kümmern konnte. Vor drei Jahren hatten plündernde Numider das Landhaus überfallen, in dem Hasdrubals Eltern den Sommer verbrachten. Seitdem verwaltete und vermehrte er – mit Hilfe von Antigonos und der Sandbank – als einziger Waise das ungeheure Vermögen der alten Händlerfamilie und bemühte sich, die oft wirren Strähnen der »Neuen« zu einem zähen Strang zu verflechten.
Antigonos hatte ihn zunächst abgelehnt – »Hasdrubal der Schöne« war einfach zu gewinnend, mit seinem trotz des feinen schwarzen Bartes fast mädchenhaften Gesicht, den anmutigen Bewegungen, dem Knabenkörper. All dies, zusammen mit Reichtum und Einfluß, hatte die Skepsis des Hellenen geweckt, der jedem schönen Schein so sehr mißtraute, daß er dazu neigte, alles sichtbar Erfreuliche für scheußlich zu halten. Überdies hatte er keinen Hang zu Knabenliebe – aber Hasdrubal teilte das Lager mit einer üppigen rothaarigen Keltin; was weichliche Anmut zu sein schien, war sehnige Geschmeidigkeit, und hinter dem lieblichharmlosen Gesicht arbeitete ein klarer, scharfer Verstand.
Sie galoppierten den Strand entlang, dann nach Süden, durch die Felder und Gärten. Als sie sich dem Ufer des Sees von Tynes näherten, ließen sie die Pferde in Schritt fallen und ritten nebeneinander.
Vor ihnen lagen die Gärten und Gebäude des »Dorfs der Handwerker«, das Antigonos in den vergangenen fünf Jahren eingerichtet hatte. Plötzlich streckte Hasdrubal die Hand aus.
»Das da muß weg, nebenbei.«
Antigonos zuckte zusammen. Nach den Anstrengungen des Morgens hatte er zu dösen begonnen, gefördert durch die Bewegungen seines Pferdes, eines hellbraunen Paßgängers.
»Was?«
»Dein Dorf.«
Antigonos warf dem Punier einen schrägen Blick zu. »Du denkst ja schon wieder. Was brütest du diesmal aus?«
Hasdrubal lachte. »Ich sorge mich um deine Zukunft – und die meines Geldes, Freund. Was meinst du denn, was geschieht, sobald alles wieder einigermaßen im Lot ist?« Antigonos zuckte mit den Schultern. »Ich habe selbst schon ein paar Überlegungen angestellt, aber ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«
Hasdrubal nickte langsam. »Ich schätze, deine Überlegungen gehen in dieselbe Richtung. Was hast du mit diesem Iberer ausgehandelt?«
Antigonos kniff die Augen zusammen. »Woher weißt du denn das schon wieder?«
»Man muß alles wissen, was in Qart Hadasht vorgeht, wenn man nicht plötzlich morgens wachwerden und überrascht auf ein
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