Hanibal
Verbindungsgang zu Galerie und Treppe; Antigonos war zufrieden. Die Kahlheit der Zimmer ließe sich ändern, und irgendwie erschien es ihm in der augenblicklichen Lage sinnvoll, selbst in einem dieser Häuser zu wohnen.
Als er das Badehaus verließ, war der Nachmittag schon vorgerückt. Antigonos betrat die Garküche eines der letzten »Mäster von Götterfraß«. Die Gehege hinter dem Haus hallten von Gekläff. Antigonos aß Hunderücken in einer Kruste aus Honig, Käse und dünnem Teig.
Tsuniro wartete bereits am Tynes-Tor. Sie trug einen grauen Umhang und Schuhe aus durchbrochenem Leder. Ihre Augen glitzerten.
Im überfüllten Hof des ersten Hauses erläuterte Antigonos , wie er sich nach dem Abzug der Iberer die Werkstätten vorstellte. Sie stellte ein paar kluge Fragen, beobachtete die Gestalten, die im Zwielicht an den lodernden Bratfeuern standen, und sagte schließlich halblaut:
»Gut. Ich sehe, du hast an vieles gedacht. Oder sogar an alles?«
Antigonos lächelte, nahm ihre Hand und ging zur Treppe.
»An alles. Natürlich.«
Als sie oben angekommen waren, zog er aus der Tasche seiner weiten Tunika ein Olfläschchen und eine kleine Lampe, eine Schachtel mit Zunder – Leinwandfetzen und Laub –, einen Stahlstift und einen Feuerstein.
»Fast alles«, sagte Tsuniro.
»Alles.« Antigonos, mit vollen Händen, drückte die Schulter gegen die Tür und trat ein. Ein wenig Dämmerlicht kam noch durch die Fenster der Seeseite. Er ging zum Tisch, leerte seine Hände und drehte sich um. Von der Tür hörte er das Knirschen des Riegels.
Tsuniro kam aus dem kurzen Gang, blieb an der Ecke stehen und sah ihn an. »Alles?«
Antigonos nickte und deutete auf das zweite Zimmer der Seeseite. »Alles.« Er löste den Gürtel der oberen Tunika. Tsuniro zog ihren Umhang über den Kopf, streifte die Schuhe ab, machte einen Schritt, ließ den Umhang fallen. Drei Schritte weiter hatte sie die verschlungene Lendenschärpe gelöst, die sich auf dem Boden wie eine Schlange kringelte. Antigonos’ Sandalen, seine Tunika, der Chiton. Der Gürtel mit dem ägyptischen Dolch klirrte zu Boden. Vor dem Eingang des Schlafraums warf Antigonos den Leibschurz hin und blickte zurück.
»Ariadne war hier«, sagte er.
Tsuniro stand auf der Kleiderspur im Gang; sie hielt ihr Brustgewand in der Hand, den vernähten Doppelring. »Hat der Minotauros auch an das Bett gedacht?«
Er streckte die Hand aus und zog sie ins Zimmer. Halb gehend, halb in der Umarmung verloren sie das Gleichgewicht , taumelten, landeten verwickelt auf dem Bett. Tsuniro hockte oberhalb seines Kopfs, beugte sich vor, berührte mit der Zungenspitze seine Brustwarzen. Antigonos verdrehte den Kopf, biß ihr sanft in die Wade und glitt mit den Händen die Innenseiten ihrer Oberschenkel hinauf. Sie steckte die Zunge in seinen Nabel und grub die Finger in seine pelzige Bauchbehaarung. »Ein Dschungel.«
Antigonos kicherte. »Noch so einer.«
Tsuniro hob den Kopf. Halblaut und mit unterdrücktem Lachen sagte sie: »In meiner Heimat erzählt man dem jungen Jäger, der ins Leben aufbricht, eine Geschichte. Darin geht es um eine salzige Quelle mitten im Dschungel, und aus ihr soll der Jäger zuerst trinken und später seinen Speer hineintunken. Zur Kräftigung der Lebensfreude.«
»Eine gute Geschichte«, sagte Antigonos. »Und was erzählt man den Jägerinnen?«
»Ah. Paß auf.«
Irgendwann sagte sie, er sei gesund, habe aber in letzter Zeit zuviel Fleisch gegessen, nicht genug Obst und Gemüse. Antigonos machte Licht, goß den halben Inhalt eines Wasserkrugs aus dem Fenster und füllte das Gefäß mit Wein auf. Sie tranken beide aus dem Krug – der Minotauros hatte die Becher vergessen.
Tsuniro war die Tochter eines Jägerfürsten aus den Wäldern jenseits des Gyr. Der Stamm gehörte zu einem großen Volk. Andere Gruppen bewohnten Städte an Flüssen, betrieben Ackerbau und Handel, wieder andere waren wandernde Viehzüchter in der Steppe. Mit zwölf Jahren war sie zusammen mit anderen Frauen und Kindern in der Nähe eines Bachs am Waldrand von Garamanten überfallen und verschleppt worden. Es folgten die üblichen Wege der Erniedrigung: Garamantendörfer; drei punische Handelsmittler, die ein Tauschlager in einer Oase betrieben und alles miteinander teilten; ein hellenischer Offizier (aus Kyrene), der mit seinen Reitern kleinere Händlerzüge geleitete – von ihm lernte sie hellenische Sprache, Schrift und Göttergeschichten; ein ägyptischer Kräutersammler im
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