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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Mund, die Stammeszeichen – Punkte und Schnitte – auf Stirn und Backenknochen. Dann blinzelte er, nickte Lysandros zu und legte die beiden Papyrosrollen der Verwaltung auf den Tisch.
    »Wieviel hat Lysandros dir schon gesagt?«
    »Nicht viel. Nur daß er reisen wird und du trotzdem weiter in Qart Hadasht Düfte mischen lassen willst.«
    »Eine lange Seereise. Bin ich dazu zu alt? Nein, bin ich nicht. Es ist ein verlockender Gedanke – den Tod an einer unbekannten Küste zu verbringen.« Lysandros wackelte mit dem Kopf.
    »Es wird aber sehr anstrengend sein.«
    »Das Leben ist anstrengend, nur der Tod ist Muße, und der Schlaf ein Vorgeschmack. Ich war immer gern wach.«
    Antigonos entrollte die Listen und überflog sie. »Gut. Nun wollen wir sehen, ob Tsuniro halb so gut ist, wie Lysandros sagt. Verbinde ihr die Augen, alter Freund.«
    Lysandros begann, den Kopf der jungen Frau mit einem weißen Leinenstreifen zu umwickeln. Antigonos legte die Rollen beiseite und ging zu einem der Regale. Aus den Töpfen und Kistchen nahm er ein Rosenblatt, einige Sesamkörner, ein Blättchen Silphion und andere Dinge, schob sie in der rechten Handfläche zusammen und ging zu den beiden zurück. Er hob die Hand vor Tsuniros Nase.
    »Herr«, sagte sie lächelnd, »nimm das Silphion fort; es überdeckt alles andere.«
    Verblüfft gehorchte er. Die Augenumwicklung war fest; sie konnte unmöglich etwas sehen.
    »Was riechst du jetzt?«
    Sie schnupperte, bewegte den Kopf auf und nieder über seiner Hand. »Ein paar Sesamkörner, die schon zu lange liegen. Ein frisches Rosenblatt, das du beim Herausnehmen ein wenig geritzt hast. Lavendel. Narde. Zwei Pfefferkörner; an einem kleben zwei oder drei Stäubchen Kinnamon. Ein Span Zedernholz. Ein Klümpchen Harz… von einer epeirotischen Kiefer. Ein uraltes trockenes Herzblatt von einer Artischocke. Eine sehr mürbe Dattel.«
    Antigonos pfiff leise. Lysandros strahlte, sichtlich stolz.
    »Habe ich es nicht gesagt«, murmelte er. »Sie ist besser als alle anderen Helfer und Schüler, die ich je hatte.«
    Tsuniro streckte die Zungenspitze heraus. »Wenn du, Herr, diese Dinge von deiner Hand entfernst, kann ich dir noch mehr sagen. Wenn du es hören willst.«
    Antigonos entleerte seine Hand über dem Tisch, wischte die Handfläche mit einem herumliegenden Tuch ab und wandte sich der Frau zu. Sie bewegte den Kopf seitwärts, ging kurz in die Knie, blähte die Nasenflügel, richtete sich wieder auf.
    »Herr – dein letztes heißes Bad ist drei Tage her; seitdem hast du dich nur flüchtig gewaschen. Auch deine Gewänder trägst du seit diesem Bad. Halt noch einmal die Hand hoch. Ja. Am – ist es die Rechte? Gut. Am Zeigefinger ist eingetrocknete Tinte; vermutlich von gestern. Gestern bist du in der Nähe einer Gerberei gewesen; oder nah an einem Gerberwagen vorbeigegangen.«
    Lysandros blickte ihn fragend an; Antigonos nickte langsam und ungläubig.
    »Gestern morgen hast du Metall berührt, ein Messer oder Schwert, und ein wenig Blut ist geflossen. Vor ein paar Stunden« – sie beugte sich vor, schnupperte vor seinem Gesicht – »hast du Wein getrunken; rhodischen Wein, zur Hälfte mit Wasser vermischt.« Dann kicherte sie. »Deine Körperbehaarung ist stark und dunkel. Dein Glied ist unbeschnitten – und erregt, Herr, was mich ehrt. Seit du diese Gewänder trägst, hast du weder bei einer Frau gelegen noch Fisch gegessen noch ein Pferd geritten. Ah – Hammeltalg, vielleicht eine Kerze? Und Honig, Fladenbrot in Honig getunkt. Außerdem…«
    »Halt, hör auf. Es ist gut. Bind sie los.«
    Grinsend wickelte Lysandros das Band ab; Antigonos lehnte am Tisch und sah zu. Er war beinahe erschüttert. Tsuniro schüttelte mit einer Kopfbewegung die letzte Leinenschlinge ab; ihre Augen blitzten.
    »Gut«, sagte Antigonos matt. »Unbegreiflich und unglaublich gut. Daß du Düfte mischen kannst, will ich Lysandros gern glauben. Kannst du sonst noch etwas? Vielleicht Gedanken lesen?«
    Sie lächelte. »Nein, Herr. Aber wichtiger als die Nase ist meine Zunge.« Sie ließ die Spitze sehen.
    Lysandros schloß die Augen. »Sie kann, wenn sie mit offenem Mund schnuppert, mehr erkennen als ich in meiner besten Zeit mit der Nase. Vor ein paar Tagen hat ein Trottel von Helfer dreiunddreißig verschiedene Duftwasserteilchen zusammengeschüttet. Der Duft war wunderbar, aber er hatte vergessen, was da vermengt war. Sie hat zwei oder drei Tropfen auf die Zunge genommen und uns dann alles gesagt.«
    »Es gibt noch

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