Hannah, Mari
Tür, nur um mit einer Handbewegung hinausgewedelt zu werden. Irritiert kehrte sie an ihre Arbeit zurück und kam eine halbe Stunde später wieder. In dieser Zeit hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie wusste jetzt, dass sie ihm gegenüber ehrlich sein musste. Alles andere wäre beruflicher Selbstmord.
Sie klopfte zum zweiten Mal an seine Tür.
»Herein!«
Daniels wappnete sich, überlegte, wie sie es ihm sagen würde. Viel wichtiger war jedoch die Frage: Wie würde er reagieren? Sie erwartete, dass er ihr den Kopf abreißen würde, und fand, dass sie nichts anderes verdiente. Sie hatte sich idiotisch verhalten und war entschlossen, jede Strafe auf sich zu nehmen.
Langsam drehte sie den Türknauf.
Bright saß an seinem Schreibtisch und las in einem Handbuch der Kriminaltaktik. Daniels bemerkte, dass neben Stellas Foto vier brandneue teure Füllfederhalter fein säuberlich aufgereiht waren.
»Maxwell hat gesagt, du wolltest mich sprechen, Chef.«
Bright zeigte auf einen Stuhl und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Er beugte sich vor und reichte ihr das Handbuch. »Neue Ausgabe, frisch aus der Druckerpresse. Das wird dir nützlich sein, wenn du mal nicht weiter weißt und ich nicht erreichbar bin.«
Er meinte es nicht herablassend, und sie fasste es auch nicht so auf. Daniels wusste, wie detailliert die Vorschriften waren. Eine Bibel für Ermittlungsführer: ein dickes strategisches Dokument, mehrere hundert Seiten umfassend, das jeden Aspekt der Mordermittlung abdeckte.
»Danke.« Sie nahm es ihm ab. »Chef, ich muss mir dir reden.«
»Später vielleicht, Kate. Im Augenblick ist es etwas eng.«
»Ich muss jetzt mit dir sprechen.«
Er wartete, sichtlich gespannt.
»Die Sache ist die …«Sie hielt inne, konnte es ihm einfach nicht sagen. »Ich stecke mit dem Corbridge-Fall immer noch in einer Sackgasse. Ich kann einfach nicht …«
»Kate – ich dachte, wir hätten eine Vereinbarung. Der Fall ist mausetot. Mir ist bewusst, dass du ein persönliches Interesse daran hast, aber dieser Fall hier hat jetzt Priorität. Das ist für dich schwer zu akzeptieren, ich weiß, aber so ist es nun mal.«
»Vergiss es, ist es das, was du sagen willst?«
»Unterm Strich, ja.«
»Aber Chef …«
Bright holte tief Luft, und sein Ton war einfühlsamer als zuvor. »Sieh mal, das Präsidium will diesen Fall so schnell wie möglich aufgeklärt haben. Wenn du das nicht vermasselst, dann kannst du’s direkt zum Superintendent schaffen. Und das wäre meiner Meinung nach auch an der Zeit.«
Es war nicht seine Art, sie zu bevormunden. Er war ihr Mentor, war es immer gewesen. Er hatte sich seit Jahren für ihr Fortkommen eingesetzt. Dass sie bis zum DCI aufgestiegen war, hatte sie ihm zu danken. Das Problem war nur, dass es nicht an ihm war, irgendeine Entscheidung im Hinblick auf ihre Zukunft zu treffen. Sie beobachtete ihn dabei, wie er seinen Tintenlöscher an der Schreibtischkante ausrichtete, und dachte an all die Vollidioten, die schon vor ihr befördert worden waren – obgleich sie selbst ihre Befähigung schon mehrfach bewiesen hatte. Sie war es mehr als leid, übergangen zu werden.
Vielleicht war dies ihre große Chance.
»Und David und Elsie Short?« Sie war noch immer nicht glücklich. »Ich habe ihnen mein Wort gegeben.«
»Dumm von dir, Versprechungen zu machen, die du nicht halten kannst. Tut mir leid, Kate. Wir haben keine konkreten Anhaltspunkte, und es steht auch nicht zu erwarten, dass sich daran etwas ändert. So ist es nun einmal, und es wird Zeit, dass du das akzeptierst.«
Daniels stand da und wusste tief in ihrem Inneren, dass er Recht hatte. Trotz bester Absichten hatte sie sich in einer Weise persönlich mit David und Elsie Short eingelassen, die sie ernstlich in Gefahr brachte, den Fall nicht länger objektiv betrachten zu können. Aber er ging ihr einfach nicht aus dem Kopf, und sie schaffte es nicht loszulassen.
Bright sah sie jetzt durchdringend an. »Was ist los, Kate?«
»Willst du die Wahrheit?«
»Komm schon, keine Spielchen.«
»Okay. Erstens, Sarah Short und Father Simon verdienen Gerechtigkeit, egal wie lange es dauert. Und zweitens, deine Überredungsversuche machen mich nervös.«
»Ich dachte, du wärst ganz versessen auf die nächste Beförderung?«
»War ich – bin ich auch!«
»Dann vermassel es nicht.« Er wollte sie ermutigen, was ihm aber nicht zu gelingen schien. Plötzlich machte sich ein besorgter Ausdruck in seinem Gesicht breit. »Deine Zurückhaltung hat doch
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