Hannah, Mari
nicht womöglich mit Jo Soulsby zu tun?«
»Warum sollte sie? Du nimmst doch wohl nicht im Ernst an, dass sie was mit dem Fall zu tun hat?«
Er gab keine Antwort, und sie nutzte die Gelegenheit, das Thema zu wechseln.
»Chef, in welcher Verbindung steht Stephens mit dem Präsidium?« Sie beschloss, nichts zurückzuhalten. Bright hatte sie gelehrt, Autoritäten stets zu hinterfragen, einschließlich seiner eigenen. »Ist mal wieder jemand mit heruntergelassenen Hosen erwischt worden?«
Er lehnte sich zurück und verschränkte abweisend die Arme vor der Brust. »Lass das, Kate.«
Sie erkannte, dass sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Die Frage war nur: wessen Hosen? Oder vielmehr, was hatte das mit Alan Stephens zu tun?
Als Bright aufstand, wusste sie, dass das Gespräch zu Ende war. Wer immer hier die Fäden zog, musste ziemlich weit oben sitzen. Aber das erklärte nicht, warum Bright sie im Dunkeln ließ. Wenn irgendjemand Druck auf ihn ausübte, warum sagte er das nicht einfach?
Das hatte er bislang immer getan.
Sie fühlte sich schuldig, als sie die Treppe hinuntereilte. Es war dumm gewesen, Gormley die Wahrheit vorzuenthalten. Nicht, dass sie ihm nicht traute. Ganz im Gegenteil, sie wollte ihn nicht mit hineinziehen, wenn sie alle anderen hinterging. Nun denn, sie hatte sich bei vollem Bewusstsein entschieden, Bright nichts davon zu sagen, dass sie ein Mordopfer von früher kannte. Das grenzte an Idiotie, und jetzt gab es definitiv kein Zurück mehr.
11
Fünf Meilen entfernt von der windgepeitschten Küste Northumbrias erhob sich ein graues, abweisendes und mit Stacheldraht umgebenes Gebäude wie ein riesiger Klecks auf einem ansonsten wunderschönen Landschaftsbild. Wie die meisten Gefängnisse Ihrer Majestät lag Acklington in einer unbewohnten, entlegenen Gegend – und das aus gutem Grund.
Es begann zu regnen, als Jo Soulsby in ihrem BMW auf den Mitarbeiterparkplatz einbog und mit aller Kraft versuchte, sich auf die vor ihr liegende Aufgabe zu konzentrieren. Sie war erschöpft, wäre längst wieder zu Hause und im Bett, hätte sie nicht dem Innenministerium ein dringendes Gutachten über einen wenig kooperativen Lebenslänglichen zugesagt – aber sie würde es schon irgendwie schaffen. Zumindest war dies ihr letzter beruflicher Termin für heute.
Sie stieg aus und schloss den Wagen ab. Der Wind, der heulend durch die äußere Umzäunung fuhr, war laut genug, um Tote zum Leben zu erwecken, der Regen strömte jetzt beinahe waagerecht. Sie zog den Mantel enger um sich und rannte auf das Torhäuschen zu. Senior Officer Young erwartete sie bereits.
»Harte Nacht gehabt?«, fragte er.
Beschämt von seiner Bemerkung wandte Jo den Blick ab. »Ich könnte was Besseres mit meiner Zeit anfangen, als hier drin eingesperrt zu sein«, sagte sie. »Vor allem mit ihm.«
Senior Officer Young kontrollierte das Besucherbuch. Er verzog das Gesicht, als er sah, zu wem sie wollte. »Sie können sich noch glücklich schätzen«, sagte er. »Einige von uns müssen rund um die Uhr mit ihm zusammen sein, und das sieben Tage die Woche.«
Er drückte einen Knopf unter seinem Tisch, um die elektronische Steuerung der verstärkten Stahltür zu aktivieren. Sie klackte laut und schob sich langsam auf. Jo trat so weit vor, dass die äußere Tür sich wieder hinter ihr schloss. Obwohl sie schon viele Jahre mit schwer gestörten Kriminellen in den Gefängnissen Großbritanniens arbeitete, hasste sie immer noch das Gefühl, zwischen den beiden Stahltüren eingesperrt zu sein.
Die innere Tür klackte, gab nach, und Jo war endlich drin. Erst dann löste sie die nummerierte Erkennungsmarke von der Kette, die an ihrem Gürtel hing. Sie legte sie in eine Plastikschale, zusammen mit ihrem Handy, und schob die Schale durch die Sicherheitsklappe. Young nahm beides an sich und gab ihr im Tausch dafür einen großen Schlüsselbund, der ihr uneingeschränkten Zutritt zum Gefängnis erlauben würde. Als sie die Schlüssel an die leere Kette hängte, lächelte er ihr durch das dicke Sicherheitsglas hindurch zu, sein gespielter amerikanischer Akzent klang gedämpft durch die Scheibe.
»Schönen Tag noch, Ma’am. Hör’n Sie?«
Jo rang sich ein kleines Lächeln ab. Sie betrat das unfreundliche Gebäude und eilte durch einen Sicherheitskorridor zu der Abteilung mit den risikobehafteten Insassen. Sie fürchtete ihr Gespräch mit dem Gefangenen Nummer 7634 Woodgate, der lebenslang bekommen hatte, weil er sich an der
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