Hannah, Mari
sah auf das Display.
Nicht gut.
Sie legte das erste weg und nahm das zweite zur Hand. Sie wählte Jos Nummer und bekam nur dieselbe Ansage zu hören, die sie an diesem Morgen schon zehn Mal gehört hatte: »Der gewünschte Gesprächspartner ist zurzeit nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es später noch einmal.«
Sie steckte die Handys zurück in die Tasche, nahm Obst aus einer Schale und stopfte es ebenfalls hinein. Die rote LED-Anzeige an ihrem Anrufbeantworter zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie drückte den Knopf und lauschte, hörte jedoch nichts als knisterndes Rauschen. Sie starrte den Anrufbeantworter an, als könnte dieses Starren die Identität des Anrufers enthüllen. Aber es sagte ihr nur, dass es keine weiteren Anrufe gegeben hatte.
Eine halbe Stunde später hatte Daniels geduscht und war wieder auf dem Weg. Während sie zurück in die Stadt fuhr, stellte sie im Kopf eine Liste der Dinge auf, die sie tun musste, um die Ermittlung auf Kurs zu bringen. Ihre Gedankengänge wurden von einem Vibrieren in ihrer Jackentasche unterbrochen.
Sie griff hinüber und zog das Handy heraus. Die Verbindung war hergestellt, aber niemand sagte etwas. Schwacher Empfang? Ein Münztelefon vielleicht? Sie sah auf das Display. Privater Anschluss. Mist! Nur eine Person kannte diese spezielle Verbindung. Entweder hatte sich jemand verwählt, oder der Anrufer brauchte dringend Hilfe.
Im Foyer von Court Mews begrüßte Daniels Tim Stanton mit Handschlag. Er arbeitete erst seit sieben Jahren für die Northern Region, hatte sich in dieser Zeit jedoch einen exzellenten Ruf auf seinem Gebiet verschafft. Seine beeindruckenden Qualifikationen schlossen einen Bachelor in Medizin, eine Fellowship im Royal College of Pathologists und eine Gastdozentur in Pathologie an der Universität Edinburgh ein. Er wurde von der Polizei hoch geschätzt, und Daniels mochte ihn auch persönlich gern.
Sie teilten die Eigenschaft, auch nach wenig Schlaf gut arbeiten zu können, aber dennoch war es ihr ein Rätsel, wie er es schaffte, immer so frisch auszusehen. Obwohl sie geduscht und sich umgezogen hatte, fühlte sie sich ausgelaugt von der arbeitsreichen Nacht.
Vor Stephens’ Apartment im vierten Stock hielt ein weiblicher Officer Wache.
Daniels hielt ihren Durchsuchungsbefehl hoch. »Dies ist Mr. Stanton, Pathologe vom Innenministerium, und ich bin DCI Daniels.« Sie sah auf die Uhr. »Sagen wir, fünf nach eins. Notieren Sie, dass wir reingegangen sind, und lassen Sie niemanden sonst hinein, solange der Leichnam beschaut wird. Verstanden?«
»Ja, Ma’am.« Die Frau trat beiseite.
Vor der Tür stand ein großer Behälter mit Schutzkleidung. Daniels bückte sich, hob den Deckel ab, zog zwei Pakete heraus und reichte gerade eins an Stanton weiter, als der Aufzug auf ihrem Stockwerk hielt.
Daniels wartete, bis die Türen aufgingen, und war mehr als verblüfft, als sie Bright aus dem Lift treten sah. Sie rang hart mit sich, um sich nichts anmerken zu lassen. Superintendent hin oder her, wenn Stanton nicht dabei gewesen wäre, hätte sie ihm die Meinung gesagt. Was zum Teufel glaubte er eigentlich, mit wem er es hier zu tun hatte?
Bright tauschte Höflichkeiten mit Stanton aus, während sie sich alle einkleideten. Daniels zog den Reißverschluss ihres Anzugs hoch. Als sie sich die blauen Plastikschuhe überzog, musste sie an eine Wohnungssuche denken, die sie vor Jahren mit ihrer Mutter unternommen hatte.
Es war ein düsterer Sonntagnachmittag gewesen. Nach dem gewohnten Kirchgang mit anschließendem Besuch im Pub hatte sie ihre Mutter zu einem neuen Wohnkomplex gefahren. Ihr Vater hatte sich mit der üblichen lahmen Entschuldigung, er habe zu viel zu tun, geweigert mitzukommen.
Als Daniels das dünne Plastik betastete, konnte sie beinahe das Lachen ihrer Mutter hören, sehen, wie sie durch die Musterwohnung ging, ein Bild blühenden Lebens in ihrem neuen roten Kleid – ohne etwas von dem Krebs zu ahnen, der sich bereits seinen Weg in ihre Lunge fraß. Sie waren mit blauen Plastiktüten an den Füßen durch eine Wohnung geschlurft, die sie sich kaum hätten leisten können, kichernd wie kleine Mädchen.
Die kraftvollen Bilder dieser Erinnerung brachten Daniels zum Lächeln. Dann verschwand das Lächeln plötzlich, und an seine Stelle trat eine tiefe Traurigkeit, die Daniels kaum ertragen, geschweige denn verbergen konnte.
Als sie aufsah, war sie sehr erleichtert, dass weder Stanton noch Bright sie beachteten. Sie waren schon durch
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