Hannah, Mari
hier ist England, was erwarten die?, dachte Martin, während das Telefon an seinem Ohr noch immer klingelte. Er sprach fünf Fremdsprachen fließend: Französisch, Deutsch, Spanisch, Niederländisch und Russisch. Er hatte sie alle in Cambridge gelernt, weil er ursprünglich als Dolmetscher im Außenministerium arbeiten wollte. Warum er sich schließlich umentschieden und eine Polizeilaufbahn eingeschlagen hatte, war nicht klar, nicht einmal ihm selbst. Außer, dass diese Karriere die spannende Möglichkeit geboten hatte, eines Tages vielleicht bei Interpol in deren Hauptquartier in Lyon zu arbeiten.
Er starrte auf das Telefon. Der Empfang war unterbrochen worden. Er probierte es noch einmal. Während er darauf wartete, dass jemand abhob, dachte Martin mit leisem Bedauern an seine Träume von einer internationalen Polizeikarriere. Der einzige Ruhm, den er sich erworben hatte, bestand darin, der jüngste Officer in ganz Großbritannien gewesen zu sein, der je den Rang des Assistant Chief erreicht hatte. Dass er es nicht geschafft hatte, Chief Constable zu werden, ärgerte ihn mehr, als er zuzugeben wagte.
Weitere Kunden kamen herein. Er trat zurück und ließ sie vor. Zufällig erblickte er sein Abbild in einem länglichen Spiegel, der an einem Ständer mit billigen Sonnenbrillen angebracht war. Es gefiel ihm nicht, was er da sah:
Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und einen deutlichen Bartschatten.
Martin war ohnehin schlecht gelaunt. Eigentlich hatte er schon gestern zurückfahren wollen, war jedoch nicht weiter als bis zur Skye-Road-Bridge gekommen, die wegen starken Windes geschlossen war. Die Fähre über Loch Alsh, die einzige Route zum Festland, war ebenfalls im Hafen geblieben, was ihnen einige Stunden Verspätung eingebracht und sie gezwungen hatte, die Nacht in einem durchgelegenen Himmelbett in der einzigen noch verfügbaren Pension zu verbringen. Seine Frau hatte ihm die ganze Zeit in den Ohren gelegen, und er war vier Stunden zu spät für seinen Termin mit Bright. Zu dumm – der Mistkerl würde einfach warten müssen.
Als Felicity Wood endlich abnahm, hörte sie sich verzweifelt an. Ihre Worte überschlugen sich, so dass er kaum verstehen konnte, was sie sagte.
»Wally, Gottseidank. Kannst du reden?«
»Wenn du dich beeilst, Muriel sitzt im Auto.«
»Die Polizei war hier. Die wissen Bescheid! Ich mache mir ernsthaft Sorgen.«
Martin zwang sich, tief durchzuatmen. Plötzlich stand ihm das Bild eines halben Gesichts vor Augen. Blut an weißen Wänden. Hirnsubstanz und Knochensplitter am Boden. Es war schon so schwer genug, damit zurechtzukommen. Felicitys Panik machte die Sache noch schlimmer.
»Beruhige dich«, sagte er. »Bist du im Büro?«
»Ja, und ich mach mir fast in die Hosen vor Angst. Ich will dich hier haben.«
»Ich bin schon unterwegs. Und dreh jetzt nicht durch. Dafür könnte ich in den Bau gehen.« Die Deutschen wurden aufmerksam. Sie unterbrachen ihr Gespräch und drehten sich zu Martin um. Er lief rot an und kehrte ihnen den Rücken zu. »Hast du denen irgendwas gesagt?«
Schweigen.
»Felicity?«
Wood hörte auf zu schniefen. »Ich weiß nicht, ob ich noch lange so tun kann, als wäre nichts gewesen. Und warum sollte ich auch, verdammt noch mal? Ich hab schließlich nichts Falsches getan.«
»Um Himmels willen, so beruhige dich doch!«, zischte Martin mit zusammengebissenen Zähnen. Draußen hupte es. Er blickte zum Fenster hinaus und sah Muriel auf ihre Uhr tippen, damit er schneller machte. Am anderen Ende der Leitung brach Wood in Tränen aus. Die Hupe des Jaguars ertönte aufs Neue.
»Hör zu, ich muss los. Ich kümmere mich darum, das versprech ich dir. Ich muss erst mal herausfinden, was die wissen und was sie zu wissen glauben. Ich hab da jemanden im Team. Mach dir keine Sorgen. Rühr dich einfach nicht.«
47
Der Tag war wie im Flug vergangen. Es hatte ein paar interessante Entwicklungen gegeben, die Daniels’ Einschätzung nach helfen würden, den Verantwortlichen für Alan Stephens’ Tod zu finden, aber das reichte noch nicht, um Jo Soulsby vollständig aus den Ermittlungen der Mordkommission herauszuhalten. Während sie in ihrer ledernen Motorradkombi mit dem Helm unterm Arm zur Tür ging, fragte sie sich, was zum Teufel sie hier eigentlich tat.
Sie zögerte kurz, dann ging sie weiter und schloss die Tür hinter sich ab. Die Yamaha Fazer 600 stand schon draußen. Daniels stieg auf und fuhr in die Nacht hinaus, während sie das Visier herunterklappte. Es
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