Hannah, Mari
Zeigefinger bewegte sich schon am Abzug, doch dann sah er aus dem Augenwinkel eine Bewegung und fuhr herum. Er entspannte sich wieder, als er ein Kleinkind über den Teppich tappen sah, das sich mit einer Hand die Augen rieb und mit der anderen einen abgenutzten Teddy hinter sich herschleifte. Malik geriet in Panik. Er wollte den Jungen wegschieben, doch das Kind klammerte sich an ihn, alarmiert durch die Tränen, die über das Gesicht seines Großvaters liefen.
Malik bettelte um das Leben des Kindes.
»Töten Sie mich! Töten Sie mich!«
Er lächelte.
Es gab doch noch einen Gott.
»Wie heißt du denn?«, fragte er sanft, beugte sich vor und winkte das Kleinkind zu sich. Der Junge blinzelte, misstrauisch dem Fremden gegenüber. Also schnitt er lustige Grimassen, bis das Kind anfing zu lachen, seine kleinen Milchzähne leuchteten im Schein der Taschenlampe. »Komm, sieh mal, was ich hier habe. Bumm, bumm.« Und dann zu Malik: »Lass ihn los, und er bleibt am Leben.«
Malik verstand. Er lockerte seinen Griff, erlaubte seinen knochigen Fingern, den Schlafanzug des Kindes entgleiten zu lassen. Doch der Junge zögerte immer noch. Und dann ging er, wie nur ein Kind es vermag, langsam los und auf den Gast zu, wobei ihm seine Unschuld und sein Vertrauen ins Gesicht geschrieben standen. Malik betete jetzt mit aller Inbrunst.
Seine Gebete – jedes Gebet – wirkten wie ein rotes Tuch auf einen Stier. Er wollte, dass das aufhörte, aber er wusste, dass es das Kind alarmieren würde, wenn er jetzt herumschrie.
Und Malik betete auch noch laut, die Hände aneinandergelegt, die Augen geschlossen.
Seine Wut schwoll an und fiel in sich zusammen, als Maliks Gebete in den Hintergrund traten und in seiner Vorstellung durch andere ersetzt wurden, die ihn stärker verängstigten, als er es sich je hätte träumen lassen, gesprochen von einer Stimme, die ihn zurück in einen Raum versetzte, der ähnlich düster und schäbig war, zu einer Mutter, die ihn auf die Knie zwang, um den Herrn um Vergebung seiner Sünden zu bitten.
Er versuchte, sich auf Maliks Hände zu konzentrieren, doch er konnte nur ihre sehen.
Sie schrie ihn an, ihre Hände waren nicht länger zum Gebet gefaltet, sondern hoben sich hoch über ihren Kopf. Schläge prasselten auf ihn nieder, während er sich hinter dem Jungen versteckte. Und dann sah er den roten Nebel. Die Wut schlug über ihm zusammen, als er sich daran erinnerte, dass Malik und seine Mutter einst eng befreundet gewesen waren. Und plötzlich wusste er, was er zu tun hatte. Er drehte das schluchzende Kind um, so dass es seinen Großvater ansah, gab ihm die Waffe in die kleine Hand und führte seine Finger zum Abzug. Sanft drückte er zu und spürte, wie der Körper des Kindes zurückgeworfen wurde, als der Schuss fiel.
Dann schraubte er den Schalldämpfer ab und steckte die Waffe ein, während das Kind zu Malik lief. Als alles erledigt war, legte er die Karte auf den Boden.
Und ging in aller Seelenruhe davon.
49
Es war eine lange Schicht gewesen. Bob George war die ganze Nacht Taxi gefahren, wollte jetzt dringend nach Hause und gerade Feierabend machen, als über Funk noch ein Ruf hereinkam; irgendeine Anfrage im Zusammenhang mit dringenden polizeilichen Ermittlungen, mit einer Fahrt, die er vergangenen Donnerstagabend übernommen hatte. George dachte sich nichts weiter dabei. Anrufe der Polizei gab es regelmäßig in seinem Beruf. Ja, wenn er es recht bedachte, hatte er ihren Anruf sogar erwartet.
Er parkte sein Taxi im absoluten Halteverbot an einer viel befahrenen Straße im Ostteil der Stadt, sprang in eine Telefonzelle, die nach altem Schweiß und noch Schlimmerem stank. Die mit Filzstift geschriebenen Namen und Telefonnummern von Prostituierten, die er kannte, bedeckten jede verfügbare Oberfläche. Manche hatten sogar Fotos zur Veranschaulichung des Angebotes beigefügt. Er bemerkte, dass Joy und Brandy dieser Tage nur im Doppelpack zu haben waren.
Den Fuß gegen die Tür gestemmt, um etwas Luft hereinzulassen, hielt George sich das freie Ohr mit der Hand zu und sprach laut gegen den Verkehrslärm an. Er nannte seinen Namen, die Firma, für die er arbeitete, und sagte, dass er mit Detective Sergeant Hank Gormley sprechen wollte. Als der schließlich ans Telefon kam, musste George in den Hörer schreien, um sich verständlich zu machen. Sie vereinbarten ein Treffen und legten auf.
Weniger als eine halbe Meile entfernt, beobachtete Daniels die Büros von Graham & Abercrombie. Als
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