Hannah, Mari
er auf.
Daniels schlüpfte leise in den Beobachtungsraum. Durch einen Spionspiegel konnte sie sehen, dass die Vernehmung bereits eine Weile lief: Aussagen, Beweisstücke, Tatortfotografien lagen auf dem Tisch, dazwischen Plastikbecher und ein Krug Wasser, von dem sie aus Erfahrung wusste, dass es lauwarm war.
Lisa Carmichael schien es zu genießen, das erste Mal mit dem Chef zusammen in einer Vernehmung zu sitzen. Bright saß da wie ein Gepard: beherrscht, konzentriert, auf den Bruchteil der Sekunde wartend, der der richtige wäre, um zuzuschlagen. Oliver ihm gegenüber war sichtlich weniger beeindruckt. Ja, er fand Brights Ansatz extrem ermüdend. Er seufzte laut, flüsterte mit seiner Mandantin, wobei er seinen Mund mit der Hand abschirmte, ergriff dann das Wort.
»Meine Mandantin hat Ihre Fragen bereits beantwortet, Superintendent. Hat sie nicht längst gesagt, dass sie nicht weiß, wie das Foto in ihren Mülleimer gekommen ist?«
Bright wechselte das Thema. »Die Aufnahmen aus den Überwachungskameras zeigen Sie kurz nach Mitternacht an der Quayside, Mrs. Soulsby. Wo waren Sie in der Zeit zwischen dem Treffen mit ihren Freundinnen und dem Moment, in dem Sie das Taxi angehalten haben?«
Er machte eine Pause, um Jo Gelegenheit zu geben, ihm ein Alibi anzubieten.
Es kam keines.
Oliver griff ein. »Können wir uns nicht einfach an die Fakten halten?«
Carmichaels Blick huschte von Oliver zu Jo und wieder zurück. Sie stützte die Unterarme auf den Tisch, damit sie über Brights Schulter hinweg mitlesen konnte, zweifellos dankbar, dass Daniels sich »unerklärlicherweise verspätet« hatte.
»Mrs. Soulsby«, fuhr Bright fort, »wir haben einen Zeugen, der aussagen wird, dass Sie verschmutzt und verwirrt waren, als Sie zu Hause ankamen. Können Sie das erklären?«
»Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«
Jo wandte den Kopf ab, nicht wissend, dass Daniels nebenan war. Die beiden Frauen auf den beiden Seiten der Wand sahen einander direkt in die Augen. Bright warf einen Blick auf seine Notizen und feuerte noch eine Frage ab, ohne Jo Zeit zum Nachdenken zu geben.
»Okay«, sagte er. »Die Waffe, mit der Alan Stephens getötet wurde, wurde in der Nähe Ihres Büros gefunden. Möchten Sie etwas dazu sagen?«
Er lehnte sich entspannt zurück und setzte seinen stählernen Blick ein, um Jo einzuschüchtern.
Das Schweigen im Raum war ohrenbetäubend.
»Superintendent!« Oliver stand kurz vor der Explosion. »Das können Sie besser, mit Sicherheit. Ich habe nach Beweisen gefragt! Haben Sie Schmauchspuren an meiner Mandantin oder ihrer Kleidung gefunden?« Er wartete auf Brights Antwort. »Nein, ich denke nicht. Ihre Frage ist irrelevant. Ich verrate Ihnen mal ein kleines Geheimnis: Diese Waffe wurde näher an meinem Haus gefunden als an Mrs. Soulsbys Büro. Wollen Sie mich jetzt auch verhaften?«
Carmichael genoss den Schlagabtausch sichtlich. Sie bekam die Lektion ihrer Karriere. Bright ließ sich durch Olivers Sarkasmus nicht im Geringsten aus dem Tritt bringen. Als er Carmichaels Bewunderung spürte, lockerte er seine Krawatte und brachte sich auf Touren für den nächsten, vernichtenden Schlag, indem er ein Päckchen in Soulsbys Richtung schob.
»Sehen Sie sich mal diesen Mantel an. Das ist Ihr Mantel. Der, den Sie wenige Stunden nach dem Tod Ihres Exmannes zur Reinigung gebracht haben.«
Jo entschied sich, nicht zu antworten.
»Die Aussage zu verweigern, wird Ihnen auf lange Sicht nichts nützen, wie Sie sehr gut wissen. Dies ist Ihre Chance, für Klarheit zu sorgen.«
Jo beobachtete, wie Bright sich einen Becher Wasser eingoss. Er nahm einen Schluck und ließ seine Bemerkung noch einen Moment sacken. Sie war frustriert von all den Fragen. Der Mann, der sie stellte, war nicht gerade jemand, für den sie viel übrig hatte. Und sie wusste, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte – obgleich sie sich noch nie persönlich begegnet waren. Seinem Ruf nach war er gut in seinem Job, ein Vorbild für viele – einschließlich Kate Daniels.
Fand er wirklich, dass sie wie eine Mörderin aussah?
Jo dachte eine Weile darüber nach. Sie musste zugeben, dass die meisten Mörder, denen sie bisher begegnet war, tatsächlich vollkommen normal aussahen. Sie trugen keine eindeutigen Erkennungsmerkmale, die sie vom Rest der Gesellschaft unterschieden. Die meisten lebten ihr Leben wie sie auch: arbeiten, Zeit mit Familie und Freunden verbringen, essen, trinken … schlafen. Sie fühlte sich plötzlich sehr müde. Sie
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