Hannahs Entscheidung
überzogenen Beeren. Ach, ich komme gerade nicht auf den Namen …«
»Du meinst die von Dillsboro?«
»O ja.« Hannah konnte das Schmunzeln in Ellies Stimme hören. »Du erinnerst dich daran?«
»Wie könnte ich das je vergessen, Nana? Es gab kaum einen Tag, an dem du nicht davon genascht hast!«
»Ich fürchte, daran hat sich nichts geändert«, gestand ihre Großmutter. »Es wäre himmlisch, wenn du sie besorgen könntest, Herzchen.«
»Ich werde versuchen, die Beeren zu bekommen.«
»Wunderbar. Ich freue mich auf meine Schokolade. Und auf dich«, fügte Ellie rasch hinzu. Die Frauen lachten. Sie plauderten noch eine kleine Weile, aber dann gestand Ellie Hannah, dass sie furchtbar erschöpft sei.
»Das verstehe ich. Wir sehen uns bald, Nana. Ruhe dich schön aus.« Mit Tränen der Erleichterung in den Augen beendete Hannah das Gespräch. Nur noch wenige Tage, dann würde sie endlich nach Hause fahren. Nach Hause. Gab es etwas Schöneres?
*
Sorgfältig schichtete Sam im Kamin Holzscheite aufeinander. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu Hannah. Sie war ihm so gegenwärtig, als würde sie direkt vor ihm stehen. Es verunsicherte, ja ärgerte ihn, dass die zierliche dunkelhaarige Frau ihm ständig in den Sinn kam. Es schien nicht richtig. An Maggie wollte er denken, seine Frau. An ihre Wärme, und daran, wie sie ihn nachts in ihren Armen gehalten hatte. Mit einem langen Streichholz entfachte er das Feuer. Ein Flämmchen flackerte auf, nahm Besitz von dem trockenen Holz und wuchs rasch zu einer stolzen Flamme. Funken sprühten, stoben glitzernd durch die Luft. Feenstaub hatte Maggie dazu gesagt. Wenn er doch nur noch einmal ihr helles Lachen hören könnte. Noch ein einziges Mal …
Sehnsucht schnitt mit kalter Klinge in sein Herz. Er nahm den Schürhaken von der Wand, um in der Glut zu stochern. Maggie würde nicht zurückkommen. Niemals mehr. Langsam entglitt sie ihm, jeden Tag ein bisschen mehr. Es erschreckte ihn, dass es ihm manchmal Schwierigkeiten bereitete, sich ihr Gesicht vorzustellen. Sich den Duft ihrer Haut ins Gedächtnis zu rufen. Es schien, als würden sich die Erinnerungen wie Nebelschwaden auflösen. Er wollte sie festhalten, sich Maggies Bild für alle Zeiten in sein Hirn brennen. Warum mussten diese Erinnerungen, die ihm wichtig wie ein kostbarer Schatz waren, verblassen wie eine vergilbte Fotografie? Wenn er schon Maggie nicht hatte behalten dürfen, warum blieben ihm wenigstens diese Bilder nicht für immer? Es machte ihn zornig. Er wollte nicht vergessen. Er wollte sich an jedes noch so kleine Detail aus ihrem gemeinsamen Leben erinnern. Warum verdammt noch mal hatte nicht alles so bleiben können, wie es war? Warum hatte er den Ehrgeiz besessen, diesen verdammten Cummings aufzuspüren? Was hatte er oder irgendjemand sonst dadurch gewonnen? Gut, er hatte einen der mächtigsten Dealer der Gegend zur Strecke gebracht. War die Welt deswegen zu einem besseren Ort geworden?
Aufgewühlt bewegte er die Scheite in der Glut, bis das Feuer zischend und knisternd loderte. Sofort erfüllte es die Luft im Raum mit dem würzigen Duft von Pinie, Wacholder und Hickory.
»Hi.«
Mit dem Schürhaken in der Hand fuhr er herum. »Sie haben mich erschreckt«, blaffte er Hannah an.
»Entschuldigung. Das war nicht meine Absicht.«
»Schon gut.« Innerlich fluchend richtete er sich auf und hängte den Schürhaken zurück. Er hatte nicht vorgehabt, so barsch zu sein, und jetzt bereute er sein Verhalten. Irritiert fuhr er sich durchs Haar. »Es tut mir leid.«
Hannah probierte ein Lächeln, was jedoch nicht so recht gelingen wollte. »Waren wir nicht beim Du ?«
»Hm.«
»Sam, ich bedauere, dass nichts aus unserer Verabredung wurde. Tayanita brauchte mich im Café.« Hannah biss auf ihre Unterlippe und sah hinüber ins Feuer.
»Kein Problem.« Sam räusperte sich. Ihre Gegenwart machte ihn seltsam verlegen. Was zum Teufel ging hier vor? Nachdem Hannah das Date abgesagt hatte, verspürte er zu seiner Verwunderung so etwas wie Enttäuschung. Eine völlig neue und beunruhigende Erfahrung, was seine Gefühle für sie betraf. Moment. Er besaß keine Gefühle für Hannah! Er fand sie körperlich anziehend, so viel war inzwischen klar. Ihre Gesellschaft anregend. Aufregend, meinetwegen. Mochte der Himmel wissen, warum. Doch er fühlte nichts für sie. Das wäre ja noch schöner!
In einem Zustand zunehmender Verwirrtheit lud er sie mit einer knappen Geste ein, sich zu setzen. »Warum machst du es
Weitere Kostenlose Bücher