Hannahs Entscheidung
»Andererseits schienst du sehr beschäftigt.«
Sam zog eine Grimasse. »Ach ja, das. Hör zu, Hannah, ich möchte gern mit dir über etwas sprechen.«
»Okay.«
»Nicht hier«, raunte er, als ihr fragender Blick durch den Raum huschte. »Hättest du heute Abend Zeit? Wir könnten es uns auf Green Acres vor dem Kamin gemütlich machen, vielleicht mit einem schönen Glas …«
»Grapico?«, fiel sie ihm ins Wort, insgeheim erleichtert, weil auch er das Bedürfnis zu haben schien, mit ihr zu reden.
Er lachte. »Warum nicht?«
»Einverstanden.« Seine Augen. Dunkel und unergründlich. Hannah verlor sich in ihnen.
»Dann bis heute Abend.« Erneut glitt ein Lächeln über seine attraktiven Züge. »Ich freue mich.« Er stand auf und winkte Tayanita zu, die hinter der Theke stand und Besteck einsortierte.
Hannah sah ihm nach und wünschte, er wäre ein bisschen länger geblieben.
Hannah schaltete einen Gang herunter, als die Straße dem Schwung des Hügels folgend sanft anstieg. Es krachte im Getriebe. Wenn dieses altersschwache Gefährt, das sich Auto schimpfte, doch nur etwas schneller fahren würde! »Entschuldige«, bat sie schuldbewusst. Sie war kein Experte, aber den merkwürdigen Geräuschen nach zu urteilen, hatten die sogenannten Reparaturarbeiten in Joe’s Werkstatt den ohnehin klapprigen Zustand des Camry eher verschlimmert als verbessert. Ein Glück, dass sie damit bis nach Charlotte und wieder zurückgekommen war! Ungeduldig trommelte sie mit ihren Fingern aufs Lenkrad. Sie konnte es kaum erwarten, nach Green Acres zu kommen. Nach dem heutigen Gespräch mit Tayanita war sie sich so sicher wie nie zuvor. Sam von ihrem Kind zu erzählen, war die einzig richtige Entscheidung. Sie musste ihm die Wahrheit sagen. Wenn er etwas für sie empfand, würde er sie hoffentlich verstehen. Wenn nicht, würde sie damit auch fertigwerden. Tayanita hatte recht gehabt. Sie war stark. Stärker, als sie gedacht hatte. Sie würde ihr Leben in die Hand nehmen und das Beste daraus machen. Und wenn sie ganz viel Glück hatte, würde Sam Parker vielleicht dazugehören. Beschwingt nahm sie die Kieseinfahrt und brachte den Wagen zum Stehen. Ihr Herz hämmerte vor Aufregung, als sie die Tür aufschloss und in den Flur trat.
Sam machte sich im Wohnzimmer am Kamin zu schaffen. Hannah sah zu, wie er den Schürhaken von der Wand nahm, in die Hocke ging und damit in der Glut stocherte. Fachmännisch schob er die Scheite hin und her, bis das Feuer zischend und knisternd hell aufloderte. Er war so in die Arbeit vertieft, dass er nicht gemerkt hatte, dass Hannah direkt hinter ihm stand. Sein Anblick löste ein angenehmes Kribbeln in ihrer Mitte aus.
»Hi Sam«, sagte sie sanft, um ihn nicht zu erschrecken.
Er drehte sich um und richtete sich auf. Um seine Mundwinkel spielte ein Lächeln. »Hannah. Ich habe dich gar nicht hereinkommen hören.« Mit einer Kinnbewegung deutete er auf die Flammen. »Ich hab uns schon mal ein Feuerchen gemacht. Setz dich und mach es dir bequem«, lud er sie ein, während er den Schürhaken zurückhängte. »Ich hole uns die Getränke.« Anscheinend hatte er bereits alles vorbereitet, denn es dauerte kaum eine Minute, da kehrte er mit einem vollen Tablett aus der Küche zurück. Mit einem Augenzwinkern reichte er Hannah ein eisgekühltes Glas Grapico. »Alles in Ordnung?«, wollte er wissen, nachdem er sich in seinem Sessel niedergelassen hatte.
»Es geht mir prima, danke«, erwiderte sie, von jäher Scheu erfasst. Es war die Wahrheit. In der gemütlichen Atmosphäre seines Wohnzimmers fühlte sie sich wohl und gut aufgehoben. Als gehörte sie hier an diesen Ort. Dieses tiefe Gefühl der Geborgenheit verwirrte sie. Verstohlen musterte sie Sam. Herrje, warum sah er auch so verdammt attraktiv aus? Kein Wunder, dass Gloria hinter ihm her war. Unbewusst seufzte sie leise. Sam fing ihren Blick auf und Hannah fühlte sich ertappt. Sie legte eine Hand an ihre erhitzte Wange. Es war ziemlich heiß am Feuer, oder kam es ihr nur so vor? Warum starrte Sam sie so merkwürdig an? »Ich liebe dieses Zimmer«, sagte sie rasch, um von ihrer Verlegenheit abzulenken. »Diese Mischung von modern und rustikal ist wirklich gelungen. Wenn …«
»Hannah«, unterbrach er sie sacht.
»Ja?«
»Ist wirklich alles okay mit dir? Du wirkst ein wenig nervös.«
Nervös? Ha! Beinahe hätte sie laut aufgelacht. Sie war so nervös, dass ihre unstete Hand die Eiswürfel in ihrem Glas aneinanderklirren ließ, als sie es
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