Hannahs Entscheidung
Hannah dachte, sie würde nicht mehr weitersprechen, fuhr sie fort. »Wir haben beide darunter gelitten und entschieden, uns für eine Weile nicht mehr zu sehen. Um zur Ruhe zu kommen. Nun, das funktionierte auch. Gewissermaßen.« Die feinen Silberreifen an ihrem Handgelenk klirrten, als sie sich eine dunkle Strähne hinters Ohr schob. »Die Sehnsucht blieb. Als ich George vor Kurzem wiedersah, wurde mir klar, dass ich ihn wieder in meinem Leben haben möchte. Auch wenn er vielleicht nicht mehr als ein Freund sein kann.«
»Ich stelle es mir schwer vor, nicht mit dem Mann zusammen sein zu können, den man liebt.«
»Wenn ich George begegne, ist es so, als seien wir nie getrennt gewesen. Zwischen uns herrscht eine innere Verbundenheit, die über das Körperliche hinausgeht, verstehst du? Vielleicht sind wir zwei Seelen, die sich seit Urzeiten immer wieder begegnen.«
»Du glaubst, so etwas gibt es wirklich? Ich meine, dass ihr euch aus einem früheren Leben kennt?« Hannah warf der Cherokee einen fragenden Blick zu. Warum aber sollte diese Aussage sie erstaunen? Tayanita hatte noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie an Dinge jenseits der Vorstellungskraft glaubte. Tsali, die sich gerade an einem Farn erleichtert hatte, begann wild zu scharren.
»Hierher«, rief Tayanita. »Komm!« Sie tätschelte den Kopf der Hündin, die brav ihrem Befehl gefolgt war. »Ja, das tue ich«, beantwortete Tayanita Hannahs Frage. »Ich denke, dass wir alle miteinander verbunden sind. Wir alle sind Teil eines großen spirituellen Ganzen.« Sie vollführte eine weit ausholende Geste mit der Hand. »Alle, die wir hier auf dieser Erde leben, sind winzig kleine Teilchen eines funktionierenden geheimnisvollen Universums. Manche von uns erkennen einander, spüren diese Verbundenheit.«
»Du bist so jemand.«
»Vielleicht hat diese Erkenntnis mit meiner Herkunft zu tun. Mit diesem Land, den Bergen, wo ich aufgewachsen bin.«
»Ehrlich gesagt beneide ich dich darum …« Hannah brach ab, denn sie hatte plötzlich das dumpfe Gefühl, beobachtet zu werden. Sie fuhr herum. Hatte sich dort hinten nicht etwas bewegt? Ihr Blick huschte hektisch über das Gelände, registrierte jedes noch so kleine Detail. Sie konnte nichts Verdächtiges entdecken. Da war niemand. Sie durfte nicht hysterisch werden. Nicht hinter jedem Schatten, jedem Geräusch und jeder Bewegung Shane vermuten. Wahrscheinlich war er längst zu Hause in Ohio.
»Was ist los?« Tayanita folgte ihrem Blick, und auch Tsali, die wohl Hannahs Nervosität gespürt hatte, begann hin- und herzutänzeln. »Was hast du?«
»Ach, es ist nichts. Ich hatte nur … « Sie schüttelte den Kopf, versuchte ein Lächeln und zog die Schultern zusammen, um das beunruhigende Gefühl abzuschütteln. »Wollen wir nicht langsam zurück? Bestimmt wartet Sylvia schon sehnsüchtig auf uns.« Trotz ihres Vorsatzes, sich nicht verrückt zu machen, sah Hannah auf dem Rückweg unauffällig nach links und rechts und drehte sich noch einmal verstohlen um.
29. Kapitel
» D ein Typ wird verlangt.« Kaum hatten sie den Flur betreten, zwinkerte Sylvia Hannah verschwörerisch zu.
Hannahs Herz schlug ein paar Takte schneller. »Von wem?«
»Sam. Er sitzt im Café.«
»Oh.« Hannah merkte, wie sie sich verkrampfte.
»Geh nur«, erwiderte Tayanita warm, während sie Tsali von der Leine ließ. Die Hündin zog sich sofort in ihren Korb zum Mittagsschläfchen zurück. »Sylvia und ich schmeißen den Laden.«
Sam saß am Fenster, den Kopf über die Tageszeitung gebeugt. »Hi.« Unsicher blieb sie neben seinem Tisch stehen.
Er sah auf. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. »Hi Hannah. Würdest du dich kurz zu mir setzen?«
Sie nickte, unfähig zu sprechen. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie neben ihm saß. Sie müsste nur die Hand ausstrecken, schon könnte sie seinen Oberschenkel berühren.
»Wie war es in Charlotte? Ich habe deinen Zettel gefunden.« In einer entschuldigenden Geste hob er die Schultern. »Es tut mir wirklich leid wegen des Tanzabends. Ich habe dich gesucht, aber du warst wie vom Erdboden verschluckt. Ich …« Er sprach nicht weiter. Offensichtlich wusste er selbst nicht so genau, was er eigentlich sagen wollte. Sie hatte ihn noch nie so verunsichert erlebt. Sam Parker steckte voller Überraschungen.
Sie räusperte sich. »Ja, ich – mir ging es nicht so gut, deshalb habe ich das Fest verlassen. Vielleicht hätte ich Bescheid geben sollen.« Sie runzelte die Stirn.
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