Hannahs Entscheidung
Wahlwiederholung. Sie musste unbedingt ihre Großmutter erreichen. Vielleicht war ihr Wagen früher fertig als gedacht, und sie konnte heute noch nach Charlotte weiterfahren. Mit klopfendem Herzen wartete sie darauf, dass Ellie sich meldete. Als es in der Leitung klickte und Hannah die vertraute Stimme hörte, schnürte sich ihre Kehle zu.
»Hallo Ellie.« Sie presste eine Hand auf ihre Brust, um der Aufregung Herr zu werden. »Ich bin’s. Hannah.« Ein Zitronenfalter kam taumelnd herbeigeflattert. Sie starrte auf seine filigranen gelben Flügel, während er sich auf der Bank neben ihr ausruhte. »Ich weiß«, fuhr sie fort, da die Stille unerträglich wurde, »ich habe einen schrecklichen Fehler begangen. Es tut mir unendlich leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe.«
»Dein Anruf kommt überraschend.« Ellies Antwort, kurz und knapp, klang kühl.
»Ich hätte dich schon längst anrufen sollen. Bitte verzeih mir.« Hannahs Herz pochte immer wilder. Hatte sie ihre Großmutter verloren? War sie zu weit gegangen? Trotz der Sonne fing sie an, zu frösteln. »Verzeih mir«, flüsterte sie noch einmal.
»Das tue ich, Hannah. Schließlich habe ich auch Fehler gemacht.«
Hannah fühlte, wie sich etwas von ihrer Brust löste und davonschwebte. Einen winzigen Moment schloss sie die Augen und atmete tief durch. »Du verzeihst mir«, wiederholte sie, um das warme Gefühl festzuhalten.
»Ich bin froh, dass du dich meldest«, sagte Ellie. »Das habe ich mir schon lange gewünscht.«
Hannah empfand tiefe Freude, Erleichterung und Dankbarkeit zugleich, als sie Ellies Worte hörte. Sie würde alles dafür tun, damit sie wieder zueinanderfanden. »Was hältst du davon, wenn ich dich besuche?«
»Du möchtest nach Fairview kommen?« Der ungläubige Tonfall verriet Hannah, dass ihre Großmutter nicht damit gerechnet hatte, sie schon so bald wiederzusehen. »Hannah, das wäre wunderbar! Oh, ich freue mich!«
»O mein Gott!« Hannah konnte nicht mehr aufhören, zu lächeln. »Du weißt nicht, was mir deine Freude bedeutet, Nana .« Schon seit Jahren hatte sie ihre Großmutter nicht mehr mit diesem Kosenamen angesprochen. Warum eigentlich nicht? Vermutlich hatte sie angenommen, erwachsen zu sein, wenn sie diesen Namen nicht mehr benutzte. Wie albern, dass sie geglaubt hatte, es würde einen Unterschied machen, wie sie ihre Großmutter anredete. Noch immer sehnte sie sich nach ihrer Liebe und Zuneigung, genau wie damals, als sie ein schutzbedürftiges kleines Mädchen gewesen war.
»Darf ich dich fragen, ob du …«, Ellie zögerte. Hannah ahnte, auf was ihre Großmutter anspielte. »Wird dein – wirst du allein kommen?«
Das war ihr Stichwort. Jetzt war der richtige Zeitpunkt, Ellie zu gestehen, wie es um ihre Ehe mit Shane stand. »Ich habe mich von Shane getrennt«, erklärte sie ohne Umschweife. »Ich reiche die Scheidung ein.«
»Was sagst du?«
»Das mit mir und Shane ist vorbei. Endgültig.«
»Oh.« Hannah hörte ihre Großmutter laut ausatmen. »Wie kommst du damit zurecht, Liebes?«
»Mir geht es gut«, beeilte sich Hannah ihrer Großmutter zu versichern. Sie würden Zeit genug finden, über alles zu sprechen, was geschehen war. Darüber, wie es mit Hannahs neuem Leben weitergehen sollte.
»Es tut mir leid, dass es so gekommen ist«, entgegnete Ellie. »Allerdings wusstest du, wie ich über deine Ehe gedacht habe.«
»Ich weiß. Du hattest recht. Mit jedem einzelnen Satz, den du zu mir gesagt hast, hattest du recht.«
»Ich wünschte, ich hätte mich geirrt.«
»Es war ein Fehler, dass ich dir nicht zuhören wollte. Dass ich einfach gegangen bin, im Streit. Und dass ich mich all die Jahre nicht gemeldet habe. Ach Nana, es tut mir alles unendlich leid !«
»Wo bist du? In Marietta?«
»Ich habe Shane, nachdem er mich …«, begann sie, doch der Satz wollte nicht über ihre Lippen kommen.
Sie brachte es nicht fertig, ihrer Großmutter von diesem letzten fatalen Streit zu erzählen.
Nicht am Telefon und nach der langen Zeit des Schweigens. Das musste warten, bis sie einander in die Augen sehen konnten.
»Du weißt, dass du mir alles anvertrauen kannst, nicht? Ich bin immer für dich da.«
Ungeduldig wischte sich Hannah eine Träne von der Wange. »Es geht mir gut«, wiederholte sie leise.
»Ich möchte, dass du nach Hause kommst. Nach Fairview.« Wider Willen musste Hannah lächeln. Da war sie wieder, diese faszinierende Mischung aus Sanftheit und resoluter Strenge, die ihrer Großmutter eigen
Weitere Kostenlose Bücher