Hannahs Entscheidung
eine Glückwunschkarte geschickt noch angerufen hatte, obwohl Adresse und Telefonnummer auf der Rückseite des Briefes vermerkt waren. Sie verscheuchte die Gedanken an jenen demütigenden Moment, griff nach einem Holzlöffel und bewegte das Gemüse und die Zwiebeln im Fett. Anschließend goss sie heißes Wasser dazu, schloss den Topf mit einem Deckel und stellte den Regler herunter. In Kürze würde sie Hannah wiedersehen. Sie würden über alles sprechen und klären können, was zwischen ihnen stand. Eliza konnte es kaum erwarten. Ihr war, als würde sich nach vielen Jahren eine schwere Last von ihrer Brust heben.
*
Das Handy klingelte in ihrer Tasche. Ob Ellie vergessen hatte, ihr etwas mitzuteilen? Sicherheitshalber warf Hannah diesmal einen Blick auf das Display. Nicht noch einmal wollte sie von Shane überrascht werden. Es war eine fremde Nummer. Möglicherweise Joe’s Werkstatt . In der Hoffnung, dass Joe ihr gleich mitteilen würde, der Wagen könne abgeholt werden, nahm sie das Gespräch entgegen. »Hallo?«
»Hi Süße.«
O Gott. Shane! »Was ist das für eine Nummer?«
»Ein Kumpel hat mir sein Telefon geliehen. Ich dachte mir, dass du nicht rangehen würdest, wenn du meine Nummer siehst.« Er stieß ein bösartiges Lachen aus.
»Verdammt richtig, Shane. Was willst du noch? Es gibt nichts mehr zu sagen!«
»Wo zum Henker bist du? Wann kommst du endlich zurück?«
»Lass mich in Ruhe, Shane.« Sie erhob ihre Stimme. Ein paar Mütter, die mit ihren Sprösslingen den nahen Spielplatz bevölkerten, blickten neugierig herüber. Hannah drehte ihnen den Rücken zu. »Lass mich in Frieden, Shane«, wiederholte sie, diesmal leiser.
»Hannah, Babe«, säuselte er. »Es geht mir nicht gut. Seitdem du weg bist, verkomme ich total. Ich kann nichts mehr essen, schlafen kann ich auch nicht«, ergänzte er schniefend. Er wusste ganz genau, wie er sie kriegen konnte, dieser Mistkerl. Hannah hatte noch nie jemanden im Stich lassen können, der ihre Hilfe benötigte. So war sie nun einmal. »Komm zurück, Honey.«
Zornig riss sie ein sternförmiges Blatt von einem herunterhängenden Zweig. Ein Amberbaumblatt. Es duftete süßlich, wenn man es auf der Handfläche zerrieb. Nein, sie würde sich nicht einwickeln lassen. Sie hatte lange genug versucht, ihm zu helfen. »Ich kann nicht, Shane.«
»Ich vermisse dich. Du kannst mich doch nicht allein lassen, Sweetheart.« Seine Stimme schmeichelte sanft.
Sie ließ das Blatt auf den Rasen segeln. »Es tut mir leid. Es ist vorbei.«
Shane schrie unvermittelt los, als hätte sich bei ihm ein Schalter umgelegt. »Glaub nicht, dass ich das akzeptiere, Bitch! Meinst du, ich lasse es zu, dass du mir abhaust?«
Sie wusste, sie sollte das Gespräch hier und jetzt beenden, dennoch verharrte sie wie gelähmt.
»Du bist bei Ellie, nicht wahr? Wie naiv von dir zu glauben, du könntest wieder dorthin zurückkriechen, wo ich dich einst aufgelesen habe! Versuch erst gar nicht, dich hinter dem Rücken deiner Großmutter zu verstecken. Du …«
»Ich bin nicht in Charlotte«, warf sie ein, aber er hörte ihr nicht zu.
»Du irrst, wenn du denkst, sie könnte alles für dich regeln.«
Was meinte er damit? Ahnte er etwas? Sie musste auf jeden Fall verhindern, dass er hinter ihr Geheimnis kam. Es war einzig und allein ihre Sache, allein ihre Entscheidung! In ihrer Magengrube ballte sich ein unverdaulicher Klumpen zusammen. »Hör zu«, sie versuchte, die aufkommende Panik zu unterdrücken, »versuch nicht, mich zu finden. Ich bin nicht bei Ellie. Also tu uns beiden einen Gefallen und lass mich in Frieden.«
»Du spinnst!« Seine Stimme überschlug sich. »Du bist ja komplett durchgeknallt!«
»Im Gegenteil. Ich bin ganz klar. So klar wie schon lange nicht mehr. Lebe wohl, Shane.«
»Ich komme dich holen. Und ich werde dir derart den Hintern versohlen, dass du dir wünschen wirst …«
Sie hörte nicht mehr, was sie sich wünschen würde. Sie riss das Telefon vom Ohr und drückte ihn weg. Eine Klaue der Angst schloss ihre knochigen Finger um ihren Brustkorb. Shane war wahnsinnig. Er durfte sie nicht finden.
9. Kapitel
T ayanita ergatterte auf Anhieb einen Parkplatz in der Nähe des Supermarkteingangs. Obst und Gemüse erstand sie normalerweise bei Violet’s , weil sie fand, man sollte die Kleinhändler im Ort unterstützen. Dinge aber, die es in Violet‘s Krämerladen entweder nicht gab oder die in der Größenordnung, wie sie für das Café gebraucht
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