Hannahs Entscheidung
nicht doch Appetit auf etwas mehr? Kross gebackenen Schinken, Waffeln mit Sirup oder Rührei?«
»Danke. Aber nein.« Hannah schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht besonders hungrig.« Sie griff nach dem Orangensaft, stellte ihn aber wieder ab. »Darf ich Sie etwas fragen?«
»Natürlich.«
»Dieser Mann, der gerade noch an meinem Tisch stand …«
»Was ist mit ihm?« Tayanita schob sich das leere Tablett unter den Arm.
»Kennen Sie ihn?«
»Sam Parker. Sie müssten ihn doch ebenfalls kennen. Das ist der Mann, der mit Ihnen in den Unfall verwickelt war.« Tayanita blickte leicht irritiert auf Hannah herab.
»Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht sagen, was es mit diesem Herrn auf sich hat.« Noch bevor Hannah sich stoppen konnte, sprudelten die Worte aus ihr heraus. »Er ist einfach unmöglich. Arrogant und unverschämt.«
»Ist er das, ja?« Tayanitas Augen funkelten belustigt auf. »Sam ist ein guter Freund von mir. Wir haben vorhin miteinander an der Theke geplaudert. Er trinkt bei uns jeden Tag seinen Kaffee.«
Hannah traf es wie ein Blitzschlag. Natürlich. Warum war sie nicht gleich darauf gekommen? Sam Parker war der Mann, der vor wenigen Augenblicken noch mit Tayanita gelacht hatte. Die Wildlederjacke. Die Cowboyboots. Erneut fühlte sie, wie ihre Wangen erglühten. Meine Güte, da war sie ja schön ins Fettnäpfchen getreten! »Oh, Entschuldigung. Das tut mir leid.« Sie versuchte ein Lächeln. Warum tat sich kein tiefes Loch auf, in das sie unauffällig verschwinden könnte?
Tayanita lachte. »Ich kenne Sam schon viele Jahre. Es ist möglich, dass er zuweilen ein wenig … abweisend wirkt.«
Abweisend nannte sie das? Er musste ein ziemlich guter Freund sein, wenn Tayanita derart großherzig über sein Benehmen urteilte. Aber vielleicht verhielt sich der gute Mann auch nur ihr gegenüber so grässlich. Nur aus welchem Grund?
»Sam besitzt eine Farm«, erzählte Tayanita freimütig weiter. »Ein paar Meilen weiter östlich. Vielleicht sollten Sie ihn einmal dort besuchen. Er züchtet …«
Weiter kam sie nicht, denn Hannah sprang auf. »Hören Sie. Es tut mir wirklich leid. Ich wollte nichts Schlechtes über Ihren Freund sagen.«
Tayanita beförderte sie mit sanftem Druck auf ihren Stuhl zurück. »Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Mir ist bewusst, dass es mit Sam manchmal nicht ganz einfach ist. Er meint es nicht so.« Einen winzigen Moment schien es, als wollte Tayanita noch etwas dazu sagen, dann aber wechselte sie das Thema. »Haben Sie schon Pläne für heute?«
Hannah zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Zuerst werde ich bei der Werkstatt nachhören, wie es mit der Reparatur aussieht.« Außerdem brauchte sie Puder. Den hatte sie in der Eile nämlich zu Hause vergessen. Und eine neue Zahncreme. »Gibt es hier in der Nähe einen Supermarkt?«
»Um die Ecke auf der Main Street finden Sie Violet’s . In ihrem Geschäft bekommen Sie fast alles, was das Herz begehrt. Wenn Sie mögen, zeige ich Ihnen später im Souvenirladen einige schöne Dinge.« Sie zwinkerte Hannah zu. »Aber jetzt lasse ich Sie in Ruhe frühstücken.«
8. Kapitel
V iolet Hunter fischte eine der runden, orangefarbenen Früchte aus der Holzkiste, schnupperte daran und schloss genussvoll die Augen. Ah, dieser Duft … Wie immer veranlasste er Violet, davon zu träumen, wie es wäre, den kleinen Ort, in dem sie seit ihrer Geburt lebte, zu verlassen, um die Welt zu erkunden. Nicht dass sie nicht gern hier lebte. Sie war hier verwurzelt. Mit ihrem Mann Herb hatte sie über dreißig Jahre hier verbracht. Ein Geschäft hatten sie sich aufgebaut, einen Freundeskreis, ein Leben. Sie war ein hochgeschätztes und, wie sie hoffte, beliebtes Mitglied der Stadt, Vorsitzende des Wohltätigkeitsvereins der Willow Creek Baptistengemeinde.
Dennoch – ihre Sehnsucht nach fremden Ländern, anderen Kulturen und geheimnisvollen, exotischen Düften wuchs von Jahr zu Jahr. Besonders schlimm war es in der ersten Zeit nach Herbs Tod gewesen. Alles hätte sie vor zwei Jahren darum gegeben, dieses beschauliche Fleckchen verlassen zu können, um den Erinnerungen zu entfliehen. Doch sie musste lernen, den Gemischtwarenladen ohne Herb weiterzuführen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Freunde hatten sie aufgefangen, sie liebevoll umsorgt. Violet hatte sich in die Arbeit gestürzt, eine ehrenamtliche Tätigkeit nach der anderen übernommen. Inzwischen lief der kleine Laden wie geschnitten Brot. So gut sogar,
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