Hannahs Entscheidung
gehen.«
»Bleib noch ein Weilchen. Ich finde es schön, so mit dir zusammenzusitzen.« Tayanita hob den Deckel der Teekanne und spähte hinein. »Möchtest du noch?«
Hannah stützte ihr Kinn in die Hände und starrte in die flackernde Kerzenflamme. »Na gut, warum nicht. Dein Tee schmeckt köstlich, und er wärmt herrlich von innen.«
»Es ist eine besondere Mischung.« Tayanita schenkte ihnen nach. »Liebst du Shane denn noch?«
»Nein. Ich liebe ihn seit einer Weile nicht mehr.« Als Hannah Tayanita ansah, schien es ihr, als blickten deren Augen direkt in ihre Seele. »Es ist seltsam. Wir kennen uns kaum. Und ich sitze hier und vertraue dir Dinge an, die ich sonst mit niemandem teilen würde.«
Über Tayanitas Miene huschte ein Lächeln. »Ich finde das nicht seltsam.«
»Nein?«
»Manchmal fühlt man sich zu jemandem hingezogen, scheinbar ohne erkennbaren Grund. Es ist so, als ahnten wir unterbewusst, dass da eine Art von Seelenverwandtschaft besteht.«
Hannah hob eine Augenbraue. Als praktisch denkender Mensch, der sie in ihrem Beruf als Krankenschwester stets hatte sein müssen, richtete sich ihr Denken und Handeln bisher auf die reale Welt. Sie orientierte sich an Dingen, die sie sehen und erklären konnte.
»Ich bin davon überzeugt, dass wir alle auf irgendeine Weise miteinander verbunden sind«, fuhr Tayanita fort. »Mit dem einen mehr, mit dem anderen weniger. Da gibt es Schwingungen, Strömungen, feine unsichtbare Fäden, in die wir alle verwoben sind.«
»Über so etwas habe ich noch nie nachgedacht.« Hannah strich sich mit den Fingern durch das kurze Haar. »Das ist mir alles irgendwie …«
»Suspekt?« In Tayanitas Augen tanzte ein belustigtes Funkeln.
»Ertappt.« Ein wenig verlegen biss Hannah auf ihre Unterlippe.
»Das macht nichts. Nicht jeder ist bereit, sich mit derartigen Gedanken zu beschäftigen .« Abrupt wechselte die Cherokee das Thema. »Sag mal, hast du deiner Großmutter von dem Kind erzählt?«
Hannah verneinte. »Sie würde nicht verstehen, dass ich es vielleicht nicht behalten will. Für sie würde sich diese Frage niemals stellen. Sie ist sehr religiös. Eliza Mae ist eine starke Frau. Ich bin nicht wie sie.«
»Du bist stärker, als du denkst.« Da war es wieder, dieses rätselhafte Lächeln.
»Ich fürchte, wenn ich Ellie sage, dass ich mit dem Gedanken spiele, die Schwangerschaft abzubrechen, könnten wir uns erneut voneinander entfernen. Das will ich auf keinen Fall. Nicht jetzt, nachdem wir wieder Kontakt haben und die Aussicht auf Versöhnung besteht.«
»Sie bedeutet dir viel, nicht wahr?«
»Sie ist meine Familie. Die Frau, die mich großgezogen hat und immer für mich da war. Bis ich sie von mir stieß.«
»Sprich mit ihr.« Tayanita drückte sanft Hannahs Hand. »Schließe sie nicht aus. Gib ihr die Chance, zu verstehen. Sie liebt dich, Hannah. Auch sie wird dich nicht wieder aus ihrem Leben gehen lassen wollen.«
»Ich wünschte, ich wäre mir ebenso sicher wie du«, flüsterte Hannah, während sie das flackernde Kerzenlicht fixierte.
13. Kapitel
H annah trat aus der Duschkabine, schnappte sich das flauschige Handtuch vom Badewannenrand und hüllte sich darin ein. Sie dachte an das gestrige Gespräch mit Tayanita zurück. Es hatte ihr gutgetan, sich auszusprechen. Sie mochte die Indianerin. Ihr kam es fast vor, als würden sie sich schon ewig kennen. Es musste schön sein, so jemanden als Freundin in seiner Nähe zu wissen. Helen kam ihr in den Sinn und das Versprechen, sich bei ihr zu melden, sobald sie in Charlotte war. Sie würde Helen nachher anrufen, gleich, nachdem sie mit Ellie telefoniert hatte. Tief in Gedanken wischte Hannah mit dem Unterarm über den beschlagenen Spiegel. Sie ging zum Fenster, um es zu öffnen und sah zu, wie der warme Dampf als Nebelschwade in die kühle Morgenluft entschwand. Sie spähte hinaus auf die Straße. Eine Brise ließ die im frühen Sonnenlicht hellgrün schimmernden Blätter der Bäume, die die gepflasterten Gehwege säumten, rascheln. Anders als in Marietta störte außer dem gelegentlichen Brummen eines vorbeifahrenden Autos und dem munteren Gezwitscher der Vögel kein anderes Geräusch die morgendliche Stille.
Als sich Hannah umdrehte, um nach ihrer Bürste zu greifen, streifte ihr Blick einen dunklen Fleck an der gegenüberliegenden Wand. Kalter Schweiß brach ihr aus allen Poren. Zwischen Duschkabine und Spiegel lauerte eine riesige Spinne. Es ist doch nur ein kleines Tier, es hat mehr
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