Hannahs Entscheidung
eine erwachsene Frau. Sie kann tun und lassen, was sie will.« Er erschrak ein bisschen über seinen ruppigen Tonfall und senkte die Stimme, weil die Gäste am Nebentisch pikiert herübersahen. »Entschuldige.« Gott, was brachte ihn so durcheinander? Tayanita hatte lediglich eine harmlose Frage gestellt. Irritiert fuhr er sich mit der Rechten durch sein Haar. »Gibt es irgendwelche neuen Erkenntnisse von der Polizei?«
»Nein. Ich frage mich, ob sie den Einbruch jemals aufklären werden. Sergeant Magee sprühte nicht gerade vor Enthusiasmus. In Greenville, wo er zuletzt arbeitete, gab es sicher interessantere Fälle zu lösen als in unserem beschaulichen Städtchen.«
»Hast du vergessen, was vor vier Jahren in dieser vermeintlichen Idylle geschehen ist?«
»Nein. Entschuldige, Sam.«
Einen entsetzlichen Moment lang sah Sam den verdrehten Körper vor sich, die schreckgeweiteten Augen, die leer in den Himmel starrten, und das leuchtend rote Blut, das langsam aber stetig in den weichen tannennadelbedeckten Waldboden sickerte. Er sah sich selbst, wie er neben Maggie auf den Boden gesunken war, seine Finger in die Erde gekrallt und laut ihren Namen geschrien hatte. Wieder und immer wieder. Bis kein Ton mehr aus seiner schmerzenden Kehle gekommen war. Er schluckte hart. Kämpfte gegen den ohnmächtigen Zorn an, der nach all der Zeit noch immer seine Klauen in sein Herz schlug wie eine wilde Bestie. Er schloss die Augen, um die grausamen Erinnerungen zu verdrängen. Unter dem Tisch ballte er seine Hand zur Faust. »Wenn ich auf dem Revier noch etwas zu sagen hätte, würde ich dem Kerl Dampf machen. Zu meiner Zeit …« Er brach ab.
»Lassen wir uns überraschen.« Tayanita drückte Sams Schulter, bemüht einen fröhlichen Ton anzuschlagen. »Ich wette, der Einbrecher war irgendein harmloser Landstreicher. Ein armer Tropf, der ein wenig Geld brauchte. Gönnen wir es ihm.«
»Du bist zu gut für diese Welt.« Sam fühlte eine Welle der Zuneigung über sich schwappen.
Tayanita stemmte ihre Hände in die Hüften. »Nicht frech werden, mein Lieber. Und nun werde ich dir deinen Kaffee bringen.«
Während Sam der Cherokee voller Zuneigung hinterhersah, zwängte sich Hannah erneut in seine Gedanken. Die Frau verwirrte ihn. Warum sie ständig in seinem Kopf herumspukte, war ihm ein Rätsel. Sie beschäftigte ihn mehr, als ihm lieb war. Ihre Anwesenheit auf Green Acres brachte ihn völlig durcheinander. Er wünschte, Tayanita hätte ihn nicht um Hilfe gebeten. Aber es war nun mal so, dass er seiner alten Freundin schlecht etwas abschlagen konnte. Er redete sich ein, dass er allein Tayanita zuliebe Hannah Unterschlupf gewährte.
»Kaffee. Heiß und schwarz, ohne alles.« Tayanita schob ihm eine Tasse des herrlich duftenden Gebräus vor die Nase. »Darf ich mich einen Moment zu dir setzen?«
Sam lud sie mit einer Handbewegung ein. Er verbrachte gern Zeit mit ihr, genoss es, sich mit ihr zu unterhalten. Obwohl sie keinen Hehl daraus machte, dass sie an unsichtbare Dinge zwischen Himmel und Erde glaubte, war sie trotzdem eine vernünftige, praktisch veranlagte Frau. Sie besaß das Herz am rechten Fleck. Er schätzte sie sehr als Freundin. Augenzwinkernd warf er einen Blick in ihre Tasse. »Spezialgebräu?«
»Wie gut du mich kennst«, entgegnete sie schmunzelnd. »Eine Spezialmischung aus verschiedenen Kräutern. Unter anderem ist Veilchen drin und Katzenminze, die die Entspannung fördert.« Sie kniff die Brauen zusammen, während sie ihn musterte. »Würde dir auch guttun, mein Lieber.«
»Ach, ich bleibe lieber bei meiner schwarzen Brühe. Aber du bist und bleibst meine Lieblingshexe, Tayanita.«
Amüsiert schüttelte sie den Kopf und nippte an ihrem Tee. »Sam?«
Oh, er kannte diesen Gesichtsausdruck. Wenn Tayanita ihn auf diese Weise ansah, hatte sie meist ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Er war sich jedoch keiner Schuld bewusst. »Was habe ich angestellt?«
Sie ging nicht auf seine Neckerei ein, stützte stattdessen ihr Kinn auf der Faust ab und betrachtete ihn nachdenklich. »Ich wollte mit dir über Hannah sprechen.«
O nein. Sam stöhnte innerlich auf.
»Sie ist nett, nicht wahr?«
»Kann sein.« Er hielt ihrem forschenden Blick stand. »Ich kenne sie kaum.« Und er gedachte gewiss nicht, etwas daran zu ändern.
»Warum verhältst du dich ihr gegenüber so abweisend?«
Das Klingeln seines Handys enthob ihn glücklicherweise einer Antwort. »Es ist Mom«, raunte er Tayanita zu. »Da muss ich drangehen, tut
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