Hannahs Entscheidung
konkurrieren konnte. Anscheinend regte die Landluft den Appetit an, überlegte sie, etwas überrascht ob dieser Riesenportion. Oder aß sie etwa bereits für zwei? Rasch schob sie diesen Gedanken von sich. Weil sie nicht wusste, was sie mit dem angebrochenen Nachmittag anfangen sollte, entschloss sie sich, die Stallungen aufzusuchen. Sie mochte Pferde. Als junges Mädchen hatte sie eine Zeit lang Reitstunden genossen, bis sie eines der Tiere abgeworfen und sie sich das Bein gebrochen hatte. Danach hatte sie das Vertrauen in ihre Reitkünste verloren. Während sie an einer Koppel vorbeilief, hinter der sich ein Reitplatz erstreckte, bedauerte sie, dass sie nie wieder den Mut aufgebracht hatte, sich auf einen Pferderücken zu schwingen. Sie näherte sich einem langen, lichtdurchfluteten Gebäude mit daran anschließenden, gepflasterten Paddocks. Dann sah sie ihn. In Jeans, einem weißen ärmellosen Shirt und dem unvermeidlichen Cowboyhut lehnte er lässig gegen ein Gatter, an das sich eine Gruppe von Eseln drängte. Als er das Knirschen von Kies unter ihren Schritten hörte, drehte er sich um.
»Oh. Miss Mulligan.« Sams graue Augen funkelten spöttisch. »Was verschafft mir die Ehre?«
Hannah ärgerte sich über die Röte, die in ihre Wangen schoss. Sie verschluckte eine patzige Antwort und setzte stattdessen eine betont gleichgültige Miene auf. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit den Tieren hinter dem Gatter zu. »Esel?«, entfuhr es ihr. Die braunäugigen Geschöpfe, die sich in Sams Nähe drängten, waren eindeutig keine Pferde.
»Jep.« Um Sams Mundwinkel zuckte es verräterisch. Er tätschelte einem Silbergrauen das in der Nachmittagssonne glänzende Fell und reichte ihm eine Möhre aus dem Blecheimer, der zu seinen Füßen stand.
»Wo sind Ihre Pferde?«
Sam bückte sich nach einer weiteren Möhre. »Hier gibt es keine.«
Wollte er sie veräppeln? Hatte nicht Tayanita erzählt, er besäße eine Farm? Hannah war davon ausgegangen, dass es sich bei dieser um ein Gestüt handelte. »Sie haben mir nicht gesagt, dass Sie eine Eselfarm besitzen«, meinte sie in einem leichten Anflug von Trotz, weil sie insgeheim gehofft hatte, vielleicht die Möglichkeit zu bekommen, wieder einmal auf ein Pferd zu steigen. Wozu in aller Welt hielt dieser Mann Esel? Wo er doch selbst einer war.
»Warum sollte ich es Ihnen sagen? Was hätte das für einen Unterschied gemacht?« Sam wischte eine Hand an seinem Oberschenkel ab und nahm den Eimer auf. »Ich muss los in den Stall, nach den anderen Pfer… ähm Eseln sehen.« Seine Schultern bebten verdächtig, als er davonlief.
Der Mann besaß den Charme eines Holzklotzes, stellte Hannah nicht zum ersten Mal fest. Er und sie würden definitiv keine Freunde mehr werden in diesem Leben. Sie verharrte, unschlüssig, was sie nun tun sollte. Eigentlich waren sie ja ganz niedlich, diese Esel. Sie trat näher ans Gatter heran, um ein paar der seidenweichen Schnauzen zu streicheln. »Er kann mich mal gernhaben, der feine Mister Parker«, raunte sie einem hübschen dunkelbraunen Tier zu. Es nahm ihre Aussage mit einem Blähen seiner Nüstern zur Kenntnis. »Ihr habt es wohl auch nicht leicht mit diesem Herrn, oder?« Hannah kraulte den Esel am Kopf. Nach einer Weile wandte sie sich zum Gehen, doch da bemerkte sie Sam in Begleitung eines Mannes zurückkommen. O nein. Ihr blieb auch nichts erspart.
»Miss Mulligan? Ich möchte Ihnen gern Jackson vorstellen.«
Hannah bedachte Sam mit einem kühlen Blick, bevor sie ihre Aufmerksamkeit auf den Schwarzen richtete. Mit einem besonders charmanten Lächeln streckte sie ihre Hand zur Begrüßung aus. »Sehr erfreut, Jackson. Ich bin Hannah.«
Der hochgewachsene, hagere Mann betrachtete sie freundlich. »Ma’am. Die Freude ist ganz meinerseits.« Er deutete ein leichtes Kopfnicken an, als er ihre Finger in seine nahm und einen Moment festhielt.
»Jackson ist mein Verwalter und Vorarbeiter«, erklärte Sam. »Er ist hauptsächlich verantwortlich für die Pf…«, er räusperte sich, »wollte sagen, Esel.«
Hannah verzog keine Miene. Es überraschte sie selbst, wie gelassen sie blieb. Irgendwann würde sie es diesem Kerl heimzahlen, wenn sich die Gelegenheit böte. Irgendwann. Und bis dahin würde sie einfach alles, was er von sich gab, so gut es ging, ignorieren.
»Ma’am, wie gefällt es Ihnen auf Green Acres? Hatten Sie schon Gelegenheit, sich umzusehen?« Jackson entblößte ein paar elfenbeinfarbene Zahnstummel. Vermutlich hatte er noch nie eine
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