Hannahs Entscheidung
auf der Veranda zu sitzen, während Deanna in der Küche schuftete. »Ich würde wirklich gern …«
»Nichts da«, wehrte Deanna freundlich aber bestimmt ab. »Ich möchte, dass Sie sich ausruhen. Sie sind hier Gast, und Gäste haben am Herd nichts verloren.«
17. Kapitel
S hane drückte das Gaspedal durch. Nur noch hundertvierzig Meilen. Wenn es weiter so gut lief, könnte er sein Ziel am Nachmittag erreicht haben. Bisher hatte er nur einmal anhalten müssen – eine Pinkelpause an einer Tankstelle an der Grenze zu West Virginia, wo er ein trockenes Käseschinkensandwich mit einer grässlichen schwarzen Plörre, die sich Kaffee schimpfte, hinuntergespült hatte. Er war hungrig wie ein Wolf, was angesichts dessen, dass es zielstrebig auf Mittag zuging, kein Wunder war. Shane aber beschloss, das stete Grummeln in seiner Magengrube zu ignorieren. Er fieberte danach, Hannah wiederzusehen. Da war keine Zeit, sich um derartige Nebensächlichkeiten wie geregelte Mahlzeiten zu kümmern. Eine Weile hatte er zu Hause herumgehangen und abgewartet. Er war sich so sicher gewesen, dass sie reumütig heimkehren würde. Doch die Stunden waren ohne ein Lebenszeichen von ihr verflossen.
Deshalb hatte er sich jetzt auf den Weg gemacht. Er würde nicht hinnehmen, dass sie aus seinem Leben verschwand. Ein grünes Schild sauste vorbei. Wytheville, Virginia . Seine Mundwinkel kräuselten sich zu einem verächtlichen Lächeln. Hillbilly Country. Ein schäbiger Lieferwagen setzte sich vor seinen Pick-up, woraufhin er scharf abbremsen musste. Verdammte Hinterwäldler! Wie er diese gottverlassene Gegend hasste. Laut fluchend bearbeitete er seine Hupe. Er riss das Steuer herum, scherte aus und beschleunigte. Während er triumphierend an dem anderen Wagen vorbeizog, streckte er seinen linken Arm aus dem offenen Fenster und präsentierte dem Fahrer seinen Mittelfinger. Arschloch. Der Typ besaß auch noch die Dreistigkeit, frech zu grinsen. Aber was konnte man schon von Leuten erwarten, auf deren Heck das Mother of States Nummernschild prangte.
Seine Gedanken schweiften zurück zu Hannah. Ihm war klar, dass es seit einiger Zeit nicht mehr so gut zwischen ihnen lief – aber verdammt noch mal, harte Zeiten gab es in jeder Ehe! Deswegen musste man doch nicht gleich weglaufen! Waren sie nicht all die Jahre glücklich gewesen? Das hatte er sich doch nicht eingebildet, oder? Wann hatte es angefangen, dass Hannah unzufrieden wurde? Warum hatte er es nicht bemerkt? Grübelnd rückte er seine Baseballkappe zurecht. Shit, das war ihm alles viel zu kompliziert. Das Leben war beschissen genug, wie es im Moment war. Er wollte nicht weiter darüber nachdenken. Er würde sie zurückholen und ihr den Kopf wieder geraderücken. Punkt. Hannah war seine Frau. Sie gehörte zu ihm. Wie hieß es doch so schön? In guten wie in schlechten Zeiten. Nicht dass er an den Unsinn glaubte, den die Pfaffen von der Kanzel predigten. Er war alles andere als ein eifriger Kirchgänger. Seiner Meinung nach existierte da oben niemand, der – wie hieß es so schön – gleich einem guten Hirten über jeden Einzelnen von ihnen wachte. Wo war er denn bitte sehr gewesen, dieser barmherzige Gott, als Curtis Harper gegen Shanes Willen dreist eine behaarte Hand unter den Bund seiner Trainingshose gezwängt hatte? Warum waren Shanes stumme Hilfeschreie ungehört verklungen? Und wo hatte sich Gott versteckt, als Shanes Mutter beschloss, ihren Sohn in der Obhut des jähzornigen Vaters zu lassen? Nein, er wollte von all den Märchen, die die Kirche auftischte, nichts hören.
Es gab nichts in seinem Leben, woran er sich festhalten konnte. Nichts, außer Hannah. Sie war der Anker, an den er sich klammerte. Das Rettungsboot, mit dem er über die raue See schipperte. Ohne sie würde er untergehen, in die dunkle Tiefe gezogen werden. Er stand bereits an der Klippe. Einen Schritt weiter und er würde hinab in den Abgrund stürzen. Hannah war die Einzige, die ihn davor bewahren konnte. Wenn er sie verlor, würde er alles verlieren. Er musste sie zurückholen. Koste es, was es wolle. Während er den Highway im Auge behielt, fischte er unter seinem Sitz einen Flachmann hervor. Jetzt brauchte er dringend einen Schluck. Wohlig stöhnte er auf, als das brennende Gesöff seine Kehle hinunterrann.
*
Nachdem sich Sam zu Mittag noch immer nicht hatte blicken lassen, hatte Hannah zweieinhalb große Teller Chili allein verputzt, das durchaus mit dem ihrer Großmutter
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