Hannas Entscheidung
Jeansjacke den USB-Stick heraus. Sie streckte ihre Hand zu Hartmann aus, der den Stick entgegennahm.
»Was ist darauf?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe versucht es zu öffnen, aber es funktioniert nicht.«
»Und wer hat ihn dir gegeben?«
»Viktor.«
»Viktor Samuels?«
Sie nickte. »Er hat gesagt, es sei seine Lebensversicherung.«
»Also ist er untergetaucht? Hat er sich von der FoEI getrennt?«
»Schwer zu sagen.«
»Du vertraust ihm nicht?«
»Wem kann ich noch vertrauen?«
»Deshalb Gerlach?«
»Ja. Immerhin hat sein Trojaner Viktor ins Schwitzen gebracht.«
Er reichte ihr den Stick zurück und sie steckte ihn wieder in ihre Jeansjacke.
Tatsächlich war es Hartmann, der sie am nächsten Morgen wie versprochen abholte. Sie hatte tief, fest und traumlos geschlafen. Ohne auf Geräusche zu lauschen, ohne Angst davor, entdeckt zu werden. Im Waschraum wechselte sie ihre Sachen und wusch sich.
Ben saß mit einem blonden, erstaunlich jungen Mann an seiner Seite im Besprechungsraum. Vor ihnen waren bereits drei Laptops aufgebaut. Das Whiteboard an der langen Wand ließ den Desktop eines der Computer erkennen.
Als Hanna hereinkam, hob der junge Mann den Kopf und grinste, sah sie aus hellblauen Augen an. Seine untere Gesichtshälfte war von einem Zweitagebart bedeckt. Er stand auf, kam zu ihr und reichte ihr die Hand.
»Hallo Frau Rosenbaum, oder Schmidt? Ich bin Paul Gerlach.«
»Hi Paul, Hanna.«
»Hanna – was hast du für mich?«
Sie reichte dem jungen Mann den Stick.
Er bemerkte ihr Zögern und zwinkerte ihr zu. »Keine Sorge, ich bin älter als ich aussehe.«
Bevor er den Stick in den Port schieben konnte, bremste Hanna ihn. »Stopp! Warte.«
Fragend sah er sie an.
»Ich weiß nicht, was drauf ist.«
»Jaja, ich weiß. Der Oberst hat mir gesagt, dass er von deinem Freund ist – Viktor Samuels?«
»Ja.«
»Er hat meinen Trojaner geknackt.«
»Er versteht was davon.«
»Oh ja und nicht nur davon. Wir haben es bisher nicht geschafft, sein Sicherheitssystem zu knacken. Mir ist schon klar, dass wir hier mit Vorsicht vorgehen müssen. Also – auf welcher Seite stehst du?«
Sie legte den Kopf schief, ließ sich auf seiner anderen Seite nieder. »Auf meiner.«
»Uh, das ist immer gut. Und welche ist das genau – good guy or bad guy?« Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, schob er den USB-Stick in den Port des Laptops, der eher einem Aktenkoffer glich als einem tragbaren PC. Sie sah, wie eine Software anfing, den neu hinzugefügten Speicher zu prüfen.
»Ich glaube nicht, dass das hilft«, gab sie zu bedenken.
»Nein – sehe ich auch so.« Er kniff ihr ein Auge. »Dennoch sollte man Schritt für Schritt vorgehen.« Paul schob ihr den Teller mit Brötchen, einen Becher und die Kaffeekanne zu. »Dann wollen wir mal schauen, was uns Viktor da unterjubeln will.«
Der Informatiker des BKA vertiefte sich in seine eigene Welt, blendete alles um sich herum aus. Hanna beobachtete, wie er Programme startete, Routinen durchlaufen ließ und Tests ausführte. Sie fragte sich, was Viktor gedacht hatte. War er davon ausgegangen, dass sie den Stick an das BKA weitergab? Denn sie hätte bei ihren geringen IT-Kenntnissen mit dem Stick nichts anfangen können. Wollte Viktor sich in das System des BKA hacken? Aber weshalb dann der umständliche Weg über einen Stick und über sie, auf dem so viele unbekannte Variablen ins Spiel kamen? Wäre es für ihn nicht einfacher, sich direkt in das Netzwerk einzuhacken? Sie traute es ihm zu, aber dann fiel ihr ein, was Nina damals von Unternehmensspionage erzählt hatte. Man verschaffte sich über eine externe Person, der das Unternehmen vertraute, Zugang zum internen Netzwerk. Hanna konnte sich einfach nicht entscheiden, ob sie Viktor noch vertrauen durfte oder nicht.
Vier Stunden, drei Kaffeekannen, und eine Packung Schokokekse später waren sie ihrer Ansicht nach immer noch nicht weiter, auch wenn Paul ihr versicherte, das Ausschlussprinzip dauere zwar länger, führe aber irgendwann zu einem Ergebnis. Es faszinierte sie, mit welcher Geduld Paul es mit einem Programm nach dem anderen versuchte, wie flink seine Finger im Dreifingersystem über die Tastatur huschten, er den Überblick zu all den geöffneten Fenstern und Betriebssystemen behielt.
»Pizza?« Ben hatte sich vor einiger Zeit samt Telefon und Laptop in eine Ecke des Besprechungsraums zurückgezogen, wohingegen der Oberst sie nach einer halben Stunde verlassen hatte.
»Salat mit Thunfisch.«
Weitere Kostenlose Bücher