Hannas Entscheidung
nicht, worum es sich dabei handelt?«
»Exakt.«
Stille kehrte ein, und sie wartete auf seine Entscheidung. Sie hatte keine Ahnung, was sie machen würde, wenn er nicht darauf einging oder sie ihr gewaltsam den USB-Stick abnahmen. In diesem Fall hätte sie genauso wenig Einfluss auf das weitere Geschehen wie damals, als sie ihr die Fotos abgenommen hatten. Das wollte sie auf keinen Fall noch einmal riskieren.
»Einverstanden, wir spielen diesmal nach deinen Regeln. Er kann morgen hier sein. Die Frage ist: Was machen wir so lange mit dir?«
»Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Nein, du wirst auf keinen Fall dieses Gebäude verlassen.« Die Stimme des Obersts erlaubte keinen Widerspruch.
»Die Zelle.«
In Gedanken drehte sie Ben langsam und mit Genuss den Hals um.
»Es wird nicht nötig sein dich einzusperren, oder, Johanna?«
Bevor sie antworten konnte, übernahm Ben wieder. »Das hatte ich auch nicht vor. Sie kommt sowieso nicht hier raus. Aber dort gibt es ein Bett und sie kann schlafen. Das ist die einfachste Lösung.«
»Einverstanden.« Der Oberst erhob sich. »Organisieren Sie das und besorgen sie ihr etwas zu essen. Danach kommen Sie unverzüglich zu mir. Verstanden?«
»Jawohl, Oberst.«
Toll, jetzt sprachen die Männer über sie, als wäre sie nicht vorhanden.
»Ich habe Rechte als Bürgerin dieses Landes«, presste sie zwischen den Zähnen hervor.
»Nein, im Moment hast du gar nichts. Johanna Rosenbaum ist tot, und Sabine Schmidt ist verschwunden«, machte ihr der Oberst ruhig ihre Lage bewusst.
Sie fokussierte den Mann in der Uniform. Ihr blieben keine Alternativen, wenn sie vorankommen wollte. »Und was soll ich den restlichen Tag machen?«
Ben grinste. »Nachdenken.«
16 Paul
D ie Zelle war nicht übel. Auf einem Podest gab es eine Matratze mit einem Kissen und einer Decke, die beide angenehm frisch rochen, ein Waschbecken und eine Toilette. Die Tür blieb offen, sodass sie auf den Flur gehen konnte. Insgesamt befanden sich auf dieser Ebene, in die sie mit dem Aufzug weiter hinunterfahren mussten, acht Zellen, von denen keine besetzt war. Vom Aufzug aus hatten sie eine überwachte, abgesicherte Schleuse durchschritten. Hinter dem Zellenbereich fiel ihr eine weitere abgesicherte Tür auf.
»Für Verhöre.«
Ben hatte ihr die Frage anscheinend am Gesicht angesehen. Außer gebratenen Nudeln mit Hühnchen und zwei Tafeln Schokolade hatte er ihr zwei Flaschen Wasser und eine Flasche Apfelschorle gebracht.
Sie machte es sich mit dem Essen auf dem Boden bequem. Aus ihrem Rucksack holte sie danach ihren Skizzenblock und fing an zu zeichnen. Am späten Abend kam der Oberst – diesmal im Anzug – vorbei und setzte sie davon in Kenntnis, dass Gerlach gegen acht Uhr am nächsten Morgen hier sein würde.
»Hast du alles, was du brauchst?«
Sie nickte.
»Ich werde dich morgen rechtzeitig holen, dann kannst du dich im Waschraum umziehen.« Er runzelte die Stirn. »Was zeichnest du da?«
»Sie.«
Überrascht zog er die Augenbrauen hoch und versuchte einen Blick auf das Bild zu erhaschen, bevor Hanna den Block zuklappte.
»Darf ich es irgendwann sehen?«
»Vielleicht.«
»Du bist sauer.«
»Nein. Ich finde es klasse, in einer Kaserne in Berlin sein, besonders in einer Zelle, die sich gefühlte zehn Meter unter der Erde befindet.«
»Johanna, es tut mir leid, dass wir keine bessere Lösung haben.«
»Und morgen?«
»Das werden wir sehen.«
»Übermorgen?«
»Du willst dein Leben zurück, das kann ich verstehen. Aber das funktioniert nicht, solange dein Stiefvater und Konstantin Wolff auf freiem Fuß sind.«
Sie zog die Beine an und legte ihren Kopf auf die Knie. »Es wird nie aufhören«, seufzte sie.
Er hockte sich zu ihr, überkreuzte die Beine. »Nein, es wird immer Menschen geben, die ihre Macht nutzen, um anderen zu schaden. Verbrecher, die andere um ihr Eigentum bringen oder um ihr Leben. Psychopathen die Menschen zu Tode quälen. Manchmal denke ich, es gibt nichts, was ich nicht gesehen oder gehört habe, aber dann kommt der nächste Fall, die nächste Situation, und ich weiß, es gibt immer etwas, das schlimmer ist.«
»Wie leben Sie damit?«
Er zuckte mit den Achseln, verzog schwermütig seine Lippen. »Überhaupt nicht. Es ist nur der Gedanke, dass, wenn ich aufhöre, dagegen etwas zu tun, es nichts mehr gibt, was die Hilflosen vor der Willkür des Verbrechens schützt.«
»Hoffnung.«
»Ja – Hoffnung auf Gerechtigkeit.«
Langsam holte Hanna aus der Tasche ihrer
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