Hannas Entscheidung
dafür aber viel tiefer. Vielleicht waren sogar innere Organe betroffen. Oh Gott, sie wünschte sich, Lisa wäre hier. »Wieso nimmst du falsche Tabletten?«
»Wieso kannst du eine Wunde so gut behandeln?«
Sie sah ihn an und konnte nicht verhindern, dass ein Lächeln sich auf ihren Lippen ausbreitete. Es spiegelte sich in seinem Gesicht. Fragen mit Gegenfragen beantworten – das alte Spiel. »Wenn du in der Wildnis unterwegs bist, solltest du Ahnung von so etwas haben. Ist nicht so prickelnd, eine verunreinigte Wunde zu haben, wenn das nächste Dorf Kilometer entfernt ist.«
»Du bist nicht mehr in der Wildnis unterwegs.«
»Nein.« Die Tatsache laut ausgesprochen zu hören, tat weh. Sie fragte sich, wann sie es packen würde, ihr altes Leben zu vergessen und das neue anzunehmen.
»Vermisst du es?«
»Ja.« Sie sah ihn auffordernd an. Die Reihe war an ihm, ihre Frage zu beantworten.
»Ich hatte blöderweise noch in der Jackentasche eine von den falschen Tabletten und nicht drauf geachtet, als ich sie vorhin nahm.« Er machte eine Pause. »Ich war abgelenkt.«
Hanna legte den Kopf schief und grinste ihn mit einem Anflug von Galgenhumor an. »Ich hoffe, es war keine Tablette von Medicare.«
Er lachte tatsächlich, hielt inne und verzog das Gesicht. Lachen tat natürlich weh mit so einer Wunde. Dann wurde sein Ausdruck wieder ernst.
»Nein. Ich bin gegen Penicillin allergisch.«
»Hast du noch etwas anderes dabei? Ich weiß nicht, ob es reicht, wenn wir die Wunde nur von außen behandeln.«
»Schau mal im Bad, ich bin mir nicht sicher.«
Als Hanna aus dem Bad kam, hatte Ben sich seine Hose ausgezogen und war ins Bett unter das dünne Laken mit der Wolldecke geschlüpft. Sie setzte sich auf die freie Seite an den Rand des Betts. In seinem Necessaire befanden sich nur zwei verschiedene Arten von Tabletten in einer Schutzhülle. Eine Verpackung hatte sie nicht finden können. Unsicher hielt sie die Tabletten in der Hand. Er zeigte auf die größere von beiden. Sie sah ihn zweifelnd an. »Bist du dir sicher?«
»Ja.«
»Also gut.« Hanna drückte die Tablette aus der Verpackung und reichte sie ihm mit der Wasserflasche. Er warf sie in den Mund und schluckte sie herunter. Hanna nahm die Flasche zurück. Sie musste gehen, bevor es zu spät war und sie keine Kraft mehr dafür hatte. Er schien ihre Gedanken zu ahnen und hielt ihre Hand fest.
»Bitte bleib.«
Sie starrte seine Hand an, schüttelte den Kopf.
»Wenigstens, bis ich eingeschlafen bin und du sicher sein kannst, dass es mir gut geht.«
Mistkerl. Verfluchter, elender Mistkerl, dachte sie wütend. Er wusste genau, welche Worte er sagen musste, nutzte gnadenlos ihre Gefühle ihm gegenüber aus. Nie hätte sie ihm sagen dürfen, dass sie ihn liebte. Aber die Worte waren so überraschend als Erkenntnis in ihrem Sein aufgetaucht, wie die Sonne sich an dem Morgen ihren Weg über den Berg gebahnt hatte. Sie entflohen einfach ihrem Mund, bevor sie Zeit gehabt hatte, sich über die Konsequenzen dieser laut ausgesprochenen Worte Gedanken zu machen. Sie zog sich die Turnschuhe aus, streckte sich auf dem Bettrand aus, sodass der weiteste Abstand zwischen ihnen entstand, der in dem Bett möglich war. Er schmunzelte.
»Du brauchst keine Angst haben. Dazu wäre ich nicht in der Lage, auch wenn du nackt vor mir liegen würdest.«
Sie grinste zurück, ging auf seinen leichten Ton ein. »Das hörte sich vor einem Augenblick noch anders an. Außerdem dachte ich, Männer könnten immer.«
»Mythos«, murmelte Ben.
»Und warum musste ich mir vorhin etwas anziehen?«
Er streckte seine Hand aus und legte sie auf halbem Weg zu ihr auf die Bettdecke.
Sie starrte darauf, zögerte. Es würde keinen Schaden anrichten, oder? Sie legte ihre Hand auf seine und umschloss sie mit den Fingern.
»Schlaf«, befahl sie ihm leise.
»Deine Augen sind in Blau viel schöner.«
»Schlaf.«
»Weißt du, dass sie manchmal wie Saphire funkeln?«
»Schlaf.«
»Wenn sie so funkeln, bist du wütend.«
»Dann schau jetzt mal genau hin.«
Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Seine Augenlider fielen zu. Zwei Minuten später zeigten seine tiefen, regelmäßigen Atemzüge, dass Ben eingeschlafen war. Sie löste ihre Hand nicht von seiner. Das Lächeln von eben lag noch immer auf seinen Gesichtszügen, gaben ihm einen weichen Ausdruck, einen, den Hanna nur von Momenten her kannte, wenn er mit ihr geschlafen hatte. Nein, sie wollte nicht daran denken. Wann war es passiert, dass er
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