Hannas Entscheidung
leuchtenden, warmen Licht, das seine Mutter umgab. Das Lächeln seiner Mutter veränderte sich. Sie hatte an ihm vorbeigesehen, so als könnte sie Hanna sehen, und nach und nach verblasste sie. Mit ihr ging das Gefühl der Wärme und Geborgenheit. Als Ben die Augen geöffnet hatte, lag er im Krankenhaus. Jemand war hereingekommen, hatte sich über ihn gebeugt und gelächelt.
»Schön. Sie sind aufgewacht.«
Die Realität war mit aller Heftigkeit über ihn hereingebrochen. Zwei Männer aus seiner Gruppe waren tot. Der Angriff hatte sich auf die Deutschen konzentriert, obwohl Amerikaner an der heikelsten Stelle eingesetzt worden waren. Sie hatten mehr Erfahrung mit solchen Einsätzen und zögerten im Gegensatz zu den Deutschen nicht, zu töten. Das hatte ihr gemeinsamer Auftrag in Afghanistan gezeigt. Damals hatte die deutsche KSK-Einheit ihre Position aufgegeben, nachdem ein Ziegenhirte sie entdeckt und damit die gesamte Aktion der Amerikaner gefährdet hatte. Es hatte einige Diskussionen mit den Amerikanern gegeben, die in so einem Fall die Zivilperson eliminiert und als unvermeidbaren Kollateralschaden angesehen hätten. Anders die Deutschen, die das Leben der Zivilperson über die Erreichung ihres Ziels setzten.
Seine Wunde hatte ihn an Hannas Verletzung erinnert, und mit dieser Erinnerung kam das Gefühl zurück, dass sie ihnen etwas verschwiegen hatte. Seitdem haftete die Frage in seinem Hirn, ob sie hinter ihrem Schweigen etwas verbarg, was mit dem schiefgelaufenen Einsatz zu tun hatte. Als er seinen Rückflug nach Berlin organisierte, war ihm der Gedanke noch völlig logisch erschienen, aber jetzt kam er ihm absurd vor.
Er hätte nicht hierher kommen dürfen. Ein Zeuge in einem Zeugenschutzprogramm durfte keinen Kontakt mit Menschen aus seiner Vergangenheit haben. Vorsichtig und ohne seine Hand weiter zu bewegen, die unter ihrer lag, aktivierte er mit der Rechten sein Licht für die Uhr. Vier Uhr morgens. Er hatte vierzehn Stunden am Stück geschlafen. Kein Wunder, dass er sich so erholt fühlte. Er schob den rechten Arm wieder unter seinen Kopf und betrachtete Hanna, die immer noch am Rand des Betts lag, so weit wie möglich von ihm entfernt. Kluges Mädchen, dachte Ben im Stillen. Sein Blick fiel auf sein T-Shirt, das sie trug, und wanderte weiter. Hanna hatte ihre Hose ausgezogen und lag mit einem Teil ihres Körpers und einem Bein unter dem Laken und der Wolldecke. Das andere Bein lag darüber. Seine Augen folgten der Linie ihrer Taille, bis zu der das T-Shirt hochgerutscht war, glitten über die Rundung ihres Pos, der in einer praktischen, schnörkellosen Panty steckte, zu ihrem Bein, das sie leicht angewinkelt hatte. Er brauchte nur ein Stück vorzurücken und seine Hand aus ihrer zu lösen, dann könnte er dieser verführerischen, süßen Linie mit seinen Fingern folgen.
Millimeter für Millimeter, mit unendlicher Geduld, die gewöhnlich seine Arbeit auszeichnete, befreite er seine linke Hand von ihrem Griff, woraufhin Hannas Finger sich zu einer Faust ballten. Zentimeter für Zentimeter zwang sich Ben, aus dem Bett zu rutschen, weg von der Frau, die sich so vertrauensvoll in sein Bett gelegt hatte. Nach einer gefühlten Ewigkeit betrachtete er sich grimmig im Badezimmerspiegel. Wenigstens war es ihm diesmal gelungen, die Grenze nicht zu überschreiten.
Die Helligkeit im Zimmer holte Hanna aus dem Schlaf. Sie schlug die Augen auf, und ihr Blick fiel auf das leere Bett neben ihr. Ihre Finger, die beim Einschlafen seine Hand umschlossen gehalten hatten, krallten sich jetzt ins Bettlaken. Ein Gefühl von Einsamkeit breitete sich in ihr aus, nahm ihr die Luft zum Atmen. In ihren Hals bildete sich ein Kloß. Abrupt richtete sie sich auf.
»Guten Morgen.«
Sie drehte sich zu der Stimme hinter ihrem Rücken um. Dort saß Ben im Schneidersitz auf dem Boden an der Wand. Auf seinen Beinen lag ihr geöffnetes Notizbuch. Seine Augen richteten sich auf ihr nacktes Bein, das über der Decke lag. Hastig ließ sie es unter der Decke verschwinden und zog die Konstruktion von Laken und Wolldecke höher. Den Schalk in den Augen, ließ er seine Brauen in die Höhe wandern. Hannas Blick ging suchend über den Boden. Ihre Hose lag ordentlich zusammengefaltet direkt neben seinem Knie. Verdammt, wieso hatte sie die überhaupt ausgezogen? Sie riss an dem Laken, um es unter dem Bett hervorzuzerren, doch das funktionierte nicht. Es war einfach zu weit unter die Matratze gestopft. Sie hörte sein ersticktes Lachen.
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