Hannas Entscheidung
Verbandsmaterial?«
»In meiner Tasche.«
Der Arzt aus dem Militärkrankenhaus hatte ihm einiges an Verbänden, Pflastern und Salben mitgegeben. Warum, war Ben nicht bewusst gewesen, aber jetzt war er dankbar dafür.
Hanna stand auf und ging zu seiner Tasche.
»Rechts.«
Sie machte den Reißverschluss der rechten Seite auf und kam mit dem Verbandsmaterial zurück, kniete sich vor ihn und knibbelte eine Ecke des Pflasters hoch, bis sie es gut fassen konnte. Er ahnte, was sie vorhatte, doch bevor er sie daran hindern konnte, riss sie das Pflaster weg. Er schrie auf. Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu.
»Bist du wahnsinnig?«, pflaumte er sie an.
»Nein, aber du. Kannst du mir sagen, weshalb du mit so einer Wunde mit mir durch halb Rom rennst?«
Er schwieg. Sie nahm ein Stück Verbandswatte, sprühte das Desinfektionsspray darauf und entfernte das Blut auf seiner Haut. Sie arbeitete sanft, bis sie die Stelle an der Naht erreichte, an der Blut heraustrat. Die Stelle war so lang wie die Kuppe ihres kleinen Fingers bis zum Gelenk. Es schien, als hätten sich Fäden aus der Haut gelöst.
»Hat das Lisa gemacht?«
Überrascht sah er sie an. Sie hatte seine Schwester nie kennengelernt, wenigstens nicht bewusst. Als er sie damals zu Lisa brachte, war sie dem Tod näher gewesen als dem Leben. Ein sauberer Schnitt, von Hannas Schwager mit einem Messer ausgeführt, hatte ihr Blut zwar langsam, aber stetig aus ihrem Körper fließen lassen. Er erinnerte sich an ihr Gespräch im Auto, als er versucht hatte, sie wach zu halten. Damals hatte sie ihn über seine Schwester ausgefragt.
»Und?«
Sie sah ihn fragend mit undurchdringlichem Blick an. Er schüttelte den Kopf.
»Habe ich mir gedacht. Das hier muss sich jemand anschauen, der Ahnung von solchen Dingen hat.«
»Mach Salbe drauf und ein Pflaster.«
»Ich hatte nicht vor, es offen zu lassen.«
Ihre Hände auf seiner Haut. Ihr Geruch nach Sonne, ein Hauch von Rosen und Apfel in seiner Nase. Die Wärme ihres Körpers. Das Tageslicht, das sie umrahmte. »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Woher wusstest du, dass ich auf der linken Seite verletzt bin?« Er nahm selbst die Heiserkeit in seiner Stimme wahr. Verflucht, er musste seine Empfindungen kontrollieren.
Hanna konzentrierte sich auf die Behandlung der Wunde. Sie nahm ein weiteres Stück Watte und entfernte den Kleber des alten Pflasters von Bens Haut. Behutsam bewegten sich ihre Finger über seine Seite. Trotz aller Sorgen genossen es ihre Hände, seinen Körper zu berühren, sehnten sich nach mehr. Sie überlegte, was sie ihm sagen sollte. Die Nacht, die tief in ihr Gedächtnis eingebrannt war, hatte ihr deutlich vor Augen gestanden, als ihre Nase den Geruch von Blut erfasst hatte. Aber wie sollte sie ihm das erklären? Dass sie von ihm geträumt hatte? Wie lange war das her, acht Tage? Vierzehn? In der Dunkelheit, ein funkelndes Messer, das sich durch seine linke Seite bohrte. Den Nachhall ihres Entsetzens spürte sie deutlich, wenn sie die Wunde ansah. Im Traum hatte sie die Hand des Mannes gepackt und sie festgehalten. Ben hatte seine Ellenbogen in den Unterleib seines Angreifers gerammt und wenige Sekunden später hatte dieser mit gebrochenem Genick auf dem Boden gelegen, während Ben sein Bewusstsein verlor. So weit ihr Traum.
Sie konzentrierte sich auf das Pflaster in ihrer Hand und löste das Schutzpapier. Als sie im Bad das Blut gerochen hatte, wusste sie, dass seine linke Seite verletzt war. Wie konnte es sein, dass sie etwas träumte, was wirklich passiert war? Nein, es war bestimmt nicht in dieser Weise vorgefallen. Es konnte nicht sein. Wie sollte sie ihm eine Antwort geben auf etwas, das sie selbst nicht verstand, ohne ihm Angst zu machen, wenn ein »Ich liebe dich« dazu führte, dass er in Panik geriet? Was würde dann erst ein ‚Wir sind füreinander bestimmt, ob du es willst oder nicht‘ in ihm auslösen? Nein, das waren genauso wenig die richtigen Worte. Es war mehr, so viel mehr.
»Hanna!«
»Mein T-Shirt hat an der rechten Seite einen Blutfleck. Ich habe dir die Treppe hochgeholfen, indem ich deine linke Seite gestützt habe.«
Er schwieg, und sein Blick kehrte sich nach innen, als würde er das, was sie gesagt hatte, vor seinen Augen als Film abspulen. Hannas Herz fing an zu klopfen.
»Stimmt. Du hast recht.«
Sie klebte das Pflaster über die Wunde, auf der sie zuvor reichlich antibiotische Salbe verteilt hatte. Der Schnitt war nicht lang, nicht so wie bei ihr damals,
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