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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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Klang ihrer Stimme verursachte ihm ein unangenehmes Prickeln. Ihre Worte schienen heute auf seltsame Weise mit der Vergangenheit verwoben zu sein. Ben schüttelte den Kopf über seine Gedanken und Gefühle.
    Der Tag verlief anders, als er es erhofft und erwartet hatte. Statt Nähe konnte er deutlich die Distanz spüren, die sich zwischen ihnen aufbaute. Er betrachtete Hanna, die, einen angebissenen Apfel in der Hand haltend, ihr Gesicht mit geschlossenen Augen der Sonne entgegenhielt. Trotz ihrer Anspannung wirkte sie mit sich selbst im Reinen, anders als letztes Jahr. Er war sich immer noch nicht sicher, ob sie in Norwegen, als sie in den See gesprungen war, die Absicht gehabt hatte, Selbstmord zu begehen. Oder hatte sie damals wirklich eine Vision ihrer selbst als Sechzehnjährige, die sie hatte retten wollen? Ihre Hand war im Seegras festgekrallt gewesen in dem Versuch, es herauszureißen, als er sie hochzog.
    Die Anstrengung vom Laufen machte sich bemerkbar. Ben griff in seine Jackentasche, holte eine Tablette hervor und schluckte sie mit einem kräftigen Schluck Wasser herunter. Aus ihrem Rucksack holte er sich einen Apfel und fing an, ihn langsam zu essen. Eine Gruppe japanischer Touristen lief an ihnen vorbei, die ihre Kameras gezückt hielten und Fotos von dem Platz schossen. Es war schön, hier in der Sonne zu sitzen, das Plätschern des Brunnens im Hintergrund, Hanna zwei Meter von sich entfernt. Wie sollte er sie fragen, was er sie fragen wollte? »Ego sum lux mundi. – Ich bin das Licht der Welt.« Diese Worte hatte sie zu ihm gesagt, als ihm keine Antwort auf ihre Erkenntnis von »Ich liebe dich« einfiel. Er hatte an diese Worte nicht mehr gedacht, bis zu dem Tag, als er im Krankenhaus aus dem Koma aufwachte. Zwei seiner Männer hatte er verloren. Ein Einsatz wie jeder andere, nur – diesmal lief alles schief. Auf Kugeln waren sie vorbereitet gewesen. Nicht auf Messer. Er konnte noch fühlen, wie das Messer sich durch seine Schutzweste in seine Taille bohrte. Es hatte nicht einmal wehgetan. Zu seinem Glück glitt das Messer dem Angreifer bei seiner ersten Gegenwehr aus der Hand. Leutnant Dirk Richter und Oberleutnant Ralf Mader hatten dieses Glück nicht gehabt. Sie waren beide tot. Nein, etwas war bei dem Einsatz gewaltig fehlgelaufen und er würde herausfinden, was es gewesen war. Er hatte die Verantwortung getragen. Ben fühlte, wie sich Übelkeit langsam anschlich und seinen Magen hochkroch. Kalter Schweiß brach ihm auf der Stirn aus. Der Apfel fiel ihm aus der Hand.
     
    Von dem Geräusch des auf den Boden fallenden Apfels aufgeschreckt, öffnete Hanna die Augen. Ben saß mit glasigen Augen da, sein Gesicht weiß wie eine getünchte Wand. Schweiß stand ihm auf der Stirn.
    »Ben, alles klar mit dir?«
    Was für eine dämliche Frage, dachte Hanna. Er antwortete ihr nicht. Um seine Lippen zog sich ein weißer Rand. Hastig sprang sie auf, schnappte sich seinen Rucksack, der neben ihm stand, und holte sein Handy heraus.
    »Was hast du vor?«, stöhnte er.
    »Einen Notarzt rufen.«
    Er packte mit für seinen Zustand erstaunlicher Kraft ihr Handgelenk. »Das wirst du nicht tun.«
    »Oh doch, schau dich mal an.«
    »Das ist nur die Tablette.«
    »Die Tablette?«
    »Ja, ich habe die falsche genommen. Gib mir einen Moment.«
    Skeptisch musterte ihn Hanna. Ein wenig Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, dennoch sah er beunruhigend geschwächt aus. Ihr war klar, dass Ben gesetzliche Grenzen überschritten haben musste, um sie zu finden. Genauso wusste sie, dass sein Oberst keine Ahnung davon hatte, dass er hier bei ihr war. Wenn er log, zeigte er keine Emotionen. Das verriet ihn. Sie wollte ihn nicht in Schwierigkeiten bringen und sie wollte – nein musste – wissen, weshalb er hier war.
    »Kannst du ein Taxi organisieren und mich in mein Hotel zurückbringen?«
    Sie nickte, warf ihm einen letzten Blick zu und machte sich auf den Weg, ein Taxi zu suchen.

5 Sehnsucht
    S eine Pension lag nicht weit vom Peterplatz entfernt. Hanna hatte der Zwanziger wehgetan, den sie aus ihrer Geldbörse zückte, um den Taxifahrer zu bezahlen. Sie hatte ihren Arm um Bens Taille geschlungen und ihn die Treppen in den ersten Stock hoch gestützt. Er lag auf dem Bett, einem Bett mit Himmel. Überhaupt besaß die Pension einen individuellen Charme. Das Zimmer war überschaubar: ein kleiner Sekretär, ein Stuhl mit Brokatbezug und dieses Himmelbett mit vier geschnitzten Säulen und einem leichten, an den Pfosten festgebundenen

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