Hannas Entscheidung
Vorhang. Direkt links neben der Zimmertür befand sich die Tür zum Bad. Sie ließ sie offen, damit sie Ben hören konnte, wusch sich die Hände und das verschwitzte Gesicht. Nicht nur hatte sie Ben gestützt, sondern auch beide Rucksäcke getragen. Als er sich zufrieden lächelnd auf das Bett hatte fallen lassen, kam ihr für einen Moment der Gedanke, ob das ein Trick von ihm gewesen war, um sie in sein Zimmer zu locken. Aber nein, die Blässe in seinem Gesicht und das Zittern seiner Hand, als er die Wasserflasche von seinem Nachttisch an den Mund führte, hatten ihr gezeigt, dass er ihr nichts vorspielte.
Auf ihre Frage, ob sie irgendetwas für ihn tun könne, hatte er den Kopf geschüttelt und geantwortet: »Nein, gib mir einfach einen Moment Zeit.«
Tausend Fragen schwirrten in Hannas Kopf herum. Warum war er hier? Weshalb schluckte er Tabletten? Wieso war er nicht in der Lage, mit ihr Schritt zu halten? Sie starrte in ihr Gesicht im Spiegel. Ihre Augen waren mit dieser grünen Farbe einfach nur gruselig. Aus dem Rucksack holte sie das Kästchen und gab Reinigungsflüssigkeit hinein. Sie entfernte die Kontaktlinsen. Schon besser, jetzt sahen ihr ihre eigenen Augen aus dem Spiegel entgegen. Tiefe Falten standen auf ihrer Stirn. Sie lauschte angestrengt auf die Geräusche im Nebenzimmer. Bens Atem ging gleichmäßig, aber flach. Ihr Blick im Spiegel blieb auf einem Fleck auf ihrem T-Shirt hängen. Das T-Shirt hatte sie heute Morgen frisch aus dem Schrank geholt. Entschlossen, wenigstens diesem Problem an den Kragen zu gehen, zog sie es aus und drehte den Wasserhahn auf. Als das Wasser durch den Stoff floss, färbte es sich rosa. Erschrocken ließ sie das T-Shirt ins Waschbecken fallen und machte das Wasser aus. Ihre Finger zögerten, als sie sich dem Fleck näherten. Sie tupfte mit der Fingerspitze darauf, betrachtete den hellrosafarbenen Wassertropfen und hielt ihn sich unter die Nase.
»Verdammt noch mal, Ben, ich habe Blut an meinem T-Shirt!«
Ihre erboste Stimme riss Ben aus dem Dämmerschlaf, in den er geglitten war. Er öffnete die Augen und starrte Hanna an, die mit bis auf den BH nacktem Oberkörper vor seinem Bett stand, den rechten Zeigefinger drohend erhoben hielt und ihn mit funkelnden blauen Augen anvisierte. Ihr Anblick erstickte jeden vernünftigen Gedanken in seinem Kopf im Keim. Sein von Schmerzen und Übelkeit benebeltes Gehirn setzte schlicht und ergreifend aus.
»Beantworte gefälligst meine Frage! Warum habe ich Blut auf meinem T-Shirt?«
»Zieh dir was an.«
»Bitte?«
»Du hast mich richtig verstanden. Zieh dir etwas an.«
Verwirrung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Er ließ den Blick langsam über ihren Oberkörper gleiten. Ihre Augen folgten seinen. Sie sah an sich herunter.
»Ach verflucht, das kann jetzt nicht dein Ernst sein.« Sie sah sich im Raum um, und ihr Blick erfasste seine Tasche auf der Bank neben dem Kleiderschrank. Hanna holte sich eines seiner schwarzen T-Shirts heraus und zog es über.
Doch sie gehörte nicht zu den Menschen, die sich von einer einmal gestellten Frage ablenken ließen, und ihr Blick verhieß nichts Gutes. Er stütze sich mit den Armen ab, wartete, bis der Schwindel nachließ, bevor er sich komplett aufrichtete und die Füße auf den Boden stellte. Er packte den Rand seines T-Shirts. Dass seine Wunde aufging, hatte ihm gerade noch gefehlt. Er kam nicht dazu, das T-Shirt hochzuziehen. Hanna hockte sich vor ihn. Ihre Hände fassten den Rand des Stoffs, und vorsichtig schob sie die rechte Seite hoch. Er hob den Arm und zog ihn aus dem Ärmel. Ihre Hände berührten seine Brust, als sie den Stoff sachte von der linken Seite zog. Er zuckte ein wenig zusammen, dann lag sein T-Shirt auf dem Boden.
»Woher wusstest du, dass es die linke Seite ist?«
Sie schwieg, presste die Lippen zu schmalen Strichen zusammen. Nur eine kleine Fläche am unteren Rand der Wunde blutete. Das Pflaster war an der Stelle mit Blut durchtränkt. Mit den Fingerspitzen tastete sie vorsichtig um die Wunde herum die Haut ab, suchte sorgfältig nach Anzeichen einer Entzündung. Tiefe Falten lagen auf ihrer Stirn. Ihre Wangenknochen traten hervor, die Augenbrauen trafen sich über der Nasenwurzel. Ben konnte seinen Blick nicht von ihrem konzentrierten Gesicht lösen.
»Tut es weh?«
»Ein bisschen.«
Sie hob den Blick. »Wo?«
Er zeigte auf den schmerzenden Bereich. Ihre Augen richteten sich wieder auf die Verletzung.
»Ich möchte das Pflaster abnehmen. Hast du neues
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