Hannas Entscheidung
seiner Person. Hanna stand in Kontakt mit Marie und hatte erst vor zwei Tagen Bens Wohnung verlassen. Der Gedanke machte ihn noch immer verrückt. Er schnappte sich sein Handy und rief Paul an. »Ich möchte eine Liste aller Freundinnen von Marie Ziegler, kannst du mir so eine organisieren?«
»Du meinst aus den Überwachungsprotokollen des letzten Jahres, als sie noch Marie Benner hieß?«
»Genau.«
»Wird ein Weilchen dauern.«
»Mach einfach und schick mir regelmäßig ein Update, dann kann ich sie abgrasen.«
Als Nächstes wählte er die Nummer des Kardinals.
»Gibt es irgendwelche Freunde, Bekannten, Nachbarn, bei denen Hanna untertauchen würde?«
»Alle, die sie von ihrer Kindheit kennt, halten sie für tot.«
»Vielleicht Ferienhäuser oder Schrebergärten, in die sie sich Zutritt verschaffen könnte?«
»Ich denke darüber nach.«
Wie einfach es gewesen war, sie im Zeugenschutzprogramm zu finden, dachte Ben missgelaunt.
Am Mittwoch fuhr Ben noch einmal zu dem Wohnblock am Prenzlauer Berg. Er würde sein Glück bei Anna Lohmann versuchen, der Freundin von Marie, die ihr den Tipp mit der Eigentumswohnung gegeben hatte. Zwar wusste er nicht, ob sie zu Hause war, aber einen Versuch war es wert. Er sah wieder die Frau vom Vortag aus dem Haus kommen und zu einem Taxi vor der Tür gehen. Der Fahrer stieg aus und nahm ihr die Tasche ab. Er wollte auch ihren Rucksack nehmen, doch mit entschiedenem Kopfschütteln lehnte sie das ab.
Ben konnte nicht sagen, was es war – die Art, wie sie sich weigerte, den Rucksack abzugeben oder ihre wortlose Art. Ihr Gesicht wurde von einer Sonnenbrille größtenteils verdeckt. Sie trug ein geblümtes Stofftuch um den Kopf gewunden im Haar, passend zum Kleid, genauso wie tags zuvor. All das passte nicht zu Hanna. Sein logischer Verstand kämpfte gegen seinen Instinkt. Dann folgte er seinem Bauchgefühl und rannte zu seinem Auto zurück.
Das Taxi fuhr zum Bahnhof. Ben stellte sein Auto ins Halteverbot und sah gerade noch, wie die Frau im Gebäude verschwand. Er sprintete ihr hinterher, konnte sie nicht finden. Fluchend rannte er zu den Schließfächern, wieder zurück, warf einen prüfenden Blick auf die Tafeln mit den Zeiten der abfahrenden Züge. Nicht weit von sich entfernt hörte er ein Kind weinen. Er wandte sich um und da sah er sie. Sie schob die Sonnenbrille aus dem Gesicht und hockte sich lächelnd vor das Kind mit dem kleinen blau karierten Rucksack, das einen Hasen an sich gedrückt hielt. Es war ein Mädchen mit geflochtenen Zöpfen zu beiden Seiten. Ben hörte nicht, was die Frau zu dem Mädchen sagte, aber es hörte auf zu weinen. Die Frau strich dem Kind mit einem Papiertaschentuch die Tränen von der Wange, stand auf und reichte ihm die Hand. Vertrauensvoll legte sich die kleine Hand in die große. Ben folgte den beiden, als sie sich zu dem Informationsschalter der Bahn bewegten.
»Die Mutter von Karina Schubert wird gebeten, zum Informationsschalter zu kommen.« Die Durchsage ertönte zweimal. Eine Frau in Jeans und Turnschuhen mit einem Rollkoffer im Schlepptau hetzte zum Informationsschalter. Zuerst riss die Mutter ihre Tochter in die Arme, dann begann sie zu schimpfen.
Die Frau im geblümten Kleid lächelte dem Kind zu und sagte etwas zu der Mutter, woraufhin diese sich beruhigte und ihre Tochter noch einmal in die Arme nahm.
Hanna sah Mutter und Tochter nach, wie sie gemeinsam zu den Gleisen gingen. Sie hatte die Angst im Gesicht der Tochter gesehen und die Angst im Gesicht der Mutter. Jetzt hatten sich beide wiedergefunden. Wie leicht sich manche Probleme lösen ließen. Sie seufzte und griff nach ihrem Rucksack. Zeit, sich in ein neues Outfit zu schwingen.
»Hallo, Hanna«, flüsterte es dicht an ihrem Ohr.
Sein Geruch und das prickelnde Gefühl seiner Nähe verrieten ihr, wer hinter ihr stand. Unmöglich! Wie konnte er sie gefunden haben? Nicht umdrehen, einfach ignorieren. Sie ging einen Schritt nach vorn, aber er hielt sie am Arm fest. Die Sonnebrille ins Gesicht ziehend, wandte sie sich nur halb zu ihm um.
»He! Was fällt ihnen ein?«
Indem sie die Stimme ein paar Tonlagen nach oben schob, hoffte sie, dass sie fremd klang. Ein Grinsen schob sich in sein Gesicht, das keinerlei Unsicherheit ausstrahlte.
»Netter Versuch.«
Erbost drehte sie den Arm nach oben, versuchte sich aus seinem Griff zu befreien – mit dem Effekt, dass er noch fester wurde und Ben sie mehr zu sich hindrehte, sodass er ihr ins Gesicht sah.
»Hör auf. Du
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