Hannas Entscheidung
sie mit dem Entsetzen darüber kämpfte, dass er sie mit so einfachen Berührungen dermaßen in Aufruhr versetzen konnte. Sie versteifte sich, versuchte ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Ihre Arme lösten sich von seinem Nacken, wodurch sie das Gleichgewicht verlor, da sie ihre Schräglage unterschätzt hatte. Zum Ausgleich setzte sie einen Fuß zurück.
»Hoppla!« Ben grinste sie frech an.
Böse funkelte sie zurück, und er warf ihr einen kurzen warnenden Blick zu, stabilisierte sie über ihre Taille und schob sie in Richtung der Schließfächer. Sie griff in ihre Haare, die sich durch die Aktion ein wenig verschoben hatten, und unterdrückte den Impuls, sich die Perücke zurechtzurücken.
»Die Nummer?«
»Eins-acht-vier-sechs.«
Zielsicher steuerte er die richtige Reihe an und löste seinen Arm von ihr.
»Du bist nicht das erste Mal hier«, stellte Hanna ernüchtert fest.
»Nein.«
»Seit wann –«
»Später, hier ist nicht der richtige Ort und Zeitpunkt zu diskutieren.«
Er blieb vor dem Schließfach stehen, streckte die Hand aus.
Sie reagierte nicht.
Seine Finger bewegten sich auffordernd. »Der Schlüssel.«
Das Gute an dieser Reihe von Schließfächern war, dass sie sich an einer schwer einsehbaren Ecke befanden. Hanna nutzte die Gelegenheit zu einem gezielten Tritt und Ellenbogenstoß, um Ben so weit außer Gefecht zu setzen, dass ihr der Vorsprung reichte, sich ein Taxi zu schnappen. Dummerweise kannte er sie und ihre Kampftechnik aus ihren unerfreulichen Begegnungen im letzten Jahr zu gut. Er wehrte den Tritt ab und nutzte ihren Schwung zur Drehung aus, um sie mit ihrer Vorderseite an die Schließfächer zu pressen. Dabei ging er nicht zimperlich vor. Ihre Wange knallte hart gegen eins der Schlösser an den oberen Fächern. Von dem Schmerz schossen ihr Tränen in die Augen. Sein Körper presste sie an das Metall und nahm ihr alle Bewegungsfreiheit. Sein Bein blockierte zwischen ihren Oberschenkeln jede weitere Aktion ihrerseits.
»Schlüssel!«
»Im Rucksack.«
Er löste sich nur so weit von ihr, dass sie die Träger des Rucksacks von ihren Schultern schieben konnte. Wenn sie genügend Schwung nahm ... Seine Finger bohrten sich in ihren Arm.
»Versuch es nicht. Wenn du einfach nur machst, was ich dir sage, ersparen wir uns viel Ärger. Weißt du, es ist zwar nicht so, dass ich mich mit der Polizei rumschlagen möchte. Aber glaub mir, ob die dich in Handschellen mitnehmen und ich hinterherkomme oder ob wir hier zusammen rausgehen, ist mir schnurzpiepegal.«
Ihre Finger zitterten leicht, als sie den Reißverschluss des kleinen Seitenfachs am Rucksack öffnete. Er nahm ihr den Schlüssel ab und zog sie von den Fächern zurück, ohne seinen Griff an ihrem Arm zu lockern. Die Tasche auf der eine Seite schulternd, schob er sie Richtung Ausgang zu den Taxiständen. Widerstandslos akzeptierte sie die Rumschubserei – für den Augenblick. Ihr Arm fühlte sich taub an. Seine Bereitschaft zur Gewalt sprühte aus jeder seiner Poren, und sie entschied sich, ihm Zeit zu geben, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte.
Ben wusste nicht, weshalb Hanna ihn so wütend machte. Wenn er sie weiter so hart anfasste, brach er ihr womöglich noch den Arm. Warum konnte sie auch nicht einfach tun, was er ihr sagte? Hatte er ihr nicht genügend Spielraum gegeben, es auf einvernehmliche Art zu lösen? Aber nein, sie musste jede Gelegenheit nutzen, ihm davonzulaufen. Ging es nicht in ihren Kopf, dass sie es mit einem Profi zu tun hatte? Einem, der sie mit einem einzigen Fingerschnippen ausschalten konnte, wenn er sich dazu genötigt sah? Hatte sie nichts aus ihren letzten handfesten Auseinandersetzungen gelernt? – Nein, weil du sie immer mit Samthandschuhen angefasst hast, schalt er sich selbst. Mit einem Blick sah er, dass sein Wagen im Halteverbotsbereich fehlte. Verfluchter Mist! Von seinem Richtungswechsel überrascht, stolperte Hanna, fing sich aber wieder. Er sah, dass sie die Lippen zusammenpresste und einen Schmerzlaut unterdrückte. Vorsichtig lockerte er seinen Griff, blieb aber dicht bei ihr, falls sie erneut irgendeinen Blödsinn versuchen sollte. Schade, dass Handschellen nicht zu seiner Ausrüstung zählten.
Der erste Taxifahrer in der Reihe sah sie auf sich zukommen und öffnete den Kofferraum. Tasche und Rucksack landeten darin. Ben zog die hintere Tür auf, drückte Hanna hinein und folgte ihr direkt. Erst im Taxi ließ er sie los, als er den Blick des Fahrers bemerkte. Mit einem
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