Hannas Wahrheit (German Edition)
sich Gott näher, als es je in einer Kirche der Fall war. Hier konnte sie sein Wirken und seine Macht spüren. Die Kraft, die Energie, die all das wachsen und gedeihen ließ oder zerstörte. Zerstörte und wieder neu entstehen ließ. „Weil es jemanden geben muss, dem all das hier und wir wichtig sind.“
„So wichtig, dass er unser Land mit Hunger, Krieg und Seuchen überzieht. Ein Gott der Rache und Wut.“
„Nein, ein Gott der Liebe, der uns den Willen gibt, uns frei zu entscheiden.“
„Glaubst du, es gibt einen Menschen, der sich entscheidet, krank zu werden?“
„Nein, aber wir entscheiden, wie wir mit dieser Krankheit umgehen oder dem Schicksal, das uns trifft. Wir können wütend sein, verzweifelt und hadern, weil wir damit konfrontiert werden. Oder wir …“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Kämpfen.“
„Wofür?“
Er wandte sich ihr zu. „Dafür, dass Kinder, die dem Tod geweiht sind, leben können.“ Ochuko stand auf, klopfte sich den Staub ab. „Vielleicht hast du recht. Vielleicht gibt es jemand, der ihr die Aufgabe geschickt hat, zu heilen, was als unheilbar gilt, weil sie Mut hat und bereit ist, Opfer zu bringen.“
Verwirrt sah sie ihm nach. Wie leicht gut gemeinte Worte eine völlig falsche Bedeutung erhalten konnten. Nein, sie hatte nicht das Kämpfen gemeint. Das Akzeptieren, das Weiterleben und das Wertschätzen von Leben, darauf waren ihre Gedanken gerichtet gewesen.
Hanna war überrascht, wie klar sie sich an dieses Gespräch erinnern konnte, jetzt, wo sie verstand, wovon er gesprochen hatte. Sie drehte sich zu Seite. Sie war nicht mutig, und sie war auch nicht bereit, Opfer zu bringen. Die Worte von Marie fielen ihr ein. „Und nicht nur das, wir forschen sogar an einem Medikament, das vielleicht alle mit HIV befallenen Zellen eines Menschen zerstört, und weißt du, was das bedeutet?“ Hanna zuckte zusammen. Was, wenn Marie, Dr. Frederike Schneider und Rukia Mutai an einem Medikament arbeiteten, das die Zellen, die mit HIV verseucht waren, zerstörte? Sie spann den Faden weiter. Sie geben die Medikamente einem Kind, aber das stirbt. Ein Fehlschlag. Ein Rückschlag. „… und neues Leben, sogar im Tod“ , flüsterte Hanna leise. War der Tod von Ifechi eine Hilfe, nein, vielleicht sogar der Durchbruch für ein neues Medikament?
Sie stand auf, machte das Licht wieder an und stellte sich vor die Fotos der Kinder. Vorsichtig im Umgang miteinander, Augen, die so viel Ernst und Weisheit ausstrahlten. Runde, volle Gesichter, ihre Energie beim Spielen. Ein Kontrast. Konnte es sein? Konnte es sein, dass die Kinder mit HIV infiziert waren und dann gesund wurden? Aber wenn es so war, warum waren dann Rukia Mutai, die Kinder und Dr. Schneider getötet worden? Noch während Hanna überlegte, hörte sie die Stimme von Marie, verärgert, wütend. „Dass wir auf viel Gewinn verzichten werden, wenn wir erfolgreich sind.“ Was, wenn es jemanden gab, der nicht bereit war, auf Gewinn zu verzichten? Im ersten Moment durchflutete Hanna Erleichterung. Marie war nicht in den Überfall verwickelte. Doch dann wurde Hanna wieder kalt. Marie war in Gefahr. Sie dachte an die Menschen in Afrika, die bereits gestorben war.
Ihre Uhr piepte und signalisierte ihr den Beginn des zweiten Zeitfensters, aber statt sich anzumelden, aktivierte sie das Programm von Viktor, das alle Daten auf dem Laptop löschte. Sie öffnete ihre Schreibtischschublade und starrte auf den Zettel mit der Telefonnummer . „Oder wir, die wir für Gerechtigkeit sorgen werden.“ Sie ging zu ihrem Telefon im Flur. Ihre Finger bewegten sich über die Tasten, tippten die Nummer ein. Sie starrte auf das Display, der Zeigefinger schwebte über der Taste mit dem grünen Telefonhörer. Tief durchatmend schloss sie die Augen und drückte auf die Taste. Es klingelte einmal. Ihr Herz fing an zu klopfen. Hitze stieg ihr in den Kopf, der Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Es klingelte ein zweites Mal. Tränen schossen ihr in die Augen, sie schluchzte auf und warf das Telefon zurück auf die Ladestation. Nein, sie konnte Major Wahlstrom nicht vertrauen, er hatte sie benutzt und manipuliert. Er würde Marie nicht helfen, sondern verurteilen. Nein, sie musste mit Marie sprechen, gemeinsam würden sie eine Lösung aus dem ganzen Schlamassel finden.
Eskalation
D as Handy vibrierte in seiner Hosentasche, Major Wahlstrom zuckte zusammen. Er zog es heraus, sah auf das Display. „Anonym.“ Es vibrierte ein zweites Mal. Hastig drückte
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