Hannas Wahrheit (German Edition)
schräg, wie schützend, vor Hanna, verschränkte die Arme vor der Brust. „Was hast du mit ihr vor?“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Seine Schwester war nicht der Mensch, der körperliche Ertüchtigung liebte oder gar kämpfen konnte. Dennoch unterschätzte er ihre Entschlossenheit nicht. Sie hatte andere Möglichkeiten, das Leben für ihn unangenehm zu gestalten, und sie wusste, dass er sie liebte.
„Ich beschütze sie.“ Das war nicht mal gelogen. Skeptisch gingen die Augenbrauen von Lisa in die Höhe.
„Du hast nicht vor, sie zu entführen oder etwas Ähnliches? Ich meine, weil du mich gefragt hast, wie eine vergewaltigte Frau reagieren würde, wenn man sie unter Druck setzt?“
„Ich bin Soldat und verteidige unser Land. Ich bin kein Krimineller, vergessen?“
Lisa legte den Kopf schief. „Also ist es in Ordnung, wenn sie hier in der Praxis bleibt, bis sie aufwacht. Oder noch besser, wir bringen sie ins Charité.“ Sie stand vom Bett auf und stellte sich vor ihn hin.
„Das werden wir nicht tun“, erklärte er in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
„Also doch.“ Lisa presste die Lippen zusammen.
„Hör zu, Lisa, ich verspreche dir, es wird ihr nichts geschehen.“
„Du meinst, nicht mehr als das, was ihr gerade, und das, was ihr in der Vergangenheit geschehen ist?“ Sie drehte sich um und zeigte auf Hanna, die so still und ruhig da lag, dass sein Blick wieder prüfend über die Geräte ging.
„Hätte sie mir vertraut, wäre ihr das erspart geblieben.“
„Du kannst sie so nicht transportieren.“
„Ich muss sie so transportieren, entweder du hilfst mir, oder ich mache es alleine.“ Er ließ seiner Schwester keine Wahl. Aber Lisa verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich helfe dir nicht bei einer Entführung.“
Er zuckte mit den Achseln, stand auf und entriegelte die Rollen der Liege. Dann ging er zu den Kabeln, die Hanna mit den Monitoren verbanden.
„Was willst du machen, wenn sie kollabiert?“
„Dann suche ich das nächste Krankenhaus auf.“
„Versprochen?“
Er sah Lisa in die Augen. „Versprochen. Ich brauche sie lebend, aber es wäre besser, wenn möglichst viele Menschen denken, sie wäre tot. Wenn sie diese Räume verlässt, wird es eine Hanna Rosenbaum hier niemals gegeben haben. Verstehst du, was ich meine?“
Lisa nickte.
Gemeinsam brachten sie die Liege auf den Gang. Er war froh, dass ihm seine Schwester half. Sie war geschickt und kreativ, wenn es darum ging, irgendeinen Raum oder ein Auto in ein Krankenzimmer umzuwandeln. Sie legte einen zweiten Zugang am anderen Arm von Hanna. Die Nackenstütze des Autos wurde zum Infusionsständer umgewandelt. Lisa hatte eine Reiseapotheke zusammengestellt, Spritzen mit Inhalt vorbereitet, sie in eine Schachtel gepackt und beschriftet. Für Hanna wurde hinten in seinem Auto ein bequemes und stabilisierendes Nest gebaut. Außerdem hatte Lisa Hanna ein T-Shirt angezogen, das er ihr aus den Kleidungsstücken von Hanna gegeben hatte.
Lisa prüfte ein letztes Mal die vitalen Funktionen ihrer Patientin. Sie nickte zufrieden.
„Wenn sie erwacht, wird sie sich erinnern?“, sprach er seine Befürchtung aus, die ihm beim Begriff Trauma durch den Kopf ging. Lisa zuckte mit den Achseln.
„Ich weiß es nicht, Ben. Dass sie atmet, dass ihr Herz schlägt, dass ihr Blutdruck bereits wieder so gut ist, das alles gleicht einem kleinen Wunder. Ich bin Ärztin, ein Mensch, nicht Gott.“
„Solche Worte aus deinem Mund?“
Sie sah ihn an, lächelte zaghaft. „Ja, ich weiß. Aber ich habe im Lauf der letzten Jahre gelernt, dass ich meine Arbeit noch so gut machen kann, am Ende liegt es oft nicht in meiner Hand, ob jemand lebt oder stirbt.“
Er zog seine Schwester in die Arme und war überrascht, wie heftig sie seine Umarmung erwiderte. Er wartete, bis sie sich von ihm löste.
„Du musst fahren, und ich muss noch die Spuren beseitigen, bevor es hier wieder rundgeht.“
Er legte den Zeigefinger unter das Kinn seiner Schwester, sah in ihre Augen, die verdächtig feucht glitzerten. In der letzten Zeit war er mit seinen Besuchen nachlässig gewesen. Zwischen dem Drang, zu erfahren, was mit ihr los war, und dem Zeitdruck hin und her gerissen, beendete sie seine Unentschlossenheit. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste seine Wange.
„Los, fahr und rette die Welt.“
„Lisa …“
„Es ist in Ordnung, großer Bruder, ich erzähle es dir ein anderes Mal, fahr jetzt.“
Bevor er etwas erwidern
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