Hannas Wahrheit (German Edition)
unübersichtlich. Also holte sie aus ihrem Mäppchen bunte Stifte. Wann immer sie mit dieser Technik arbeitete, war sie fasziniert von dem Bild, das am Ende entstand. So willkürlich am Anfang die Begriffe gewählt waren, am Ende sah sie dahinter die Beziehungen, und sie wusste, irgendwann würde sie die Zusammenhänge erkennen.
Als Erstes entschloss sie sich, mehr Informationen über die Bundeswehr, über Struktur, Aufbau, Auftrag, Einheiten und die Auslandseinsätze zusammenzutragen. Sie ergänzte auf ihrem Bild drei weitere Begriffe: BKA, Bundespolizei und GSG 9. Nein, sie schüttelte den Kopf. Dafür benötigte sie eine neue Seite. Diesmal kam Ben Wahlstrom in die Mitte. Sie platzierte Bundeswehr, BKA, Bundespolizei um den Namen. Dann fügte sie UN und GSG 9 hinzu. Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Wann wurde die Bundeswehr in Deutschland aktiv? Wem unterstand sie und welche Beziehung pflegte sie zu den anderen Behörden? Gab es die Möglichkeit, dass die Behörden Personal austauschten? Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie hatte einmal von einem Bekannten gehört, dass selbst zwischen den Landeskriminalämtern ein Austausch nicht so leicht war. Die Ausbildung der Beamten kostete Zeit und Geld, niemand finanzierte das gern für ein anderes Bundesland. Aber sicherlich arbeiteten die Behörden zusammen und tauschten Informationen aus. Davon war auszugehen.
Die Verteidigung der Grenzen war der Auftrag der Bundeswehr. In Berlin gab es keine Grenze mehr, die verteidigt werden musste. Oder dachte sie in zu engen Bahnen? Ein weiterer Begriff zuckte durch ihren Kopf, sie schrieb ihn an den rechten unteren Rand: Dorf. Sie zog eine Linie zur Mitte, notierte „Überfall“, „tot“ und „Fotos“ mit Abzweigungen. Mit einem grünen Stift markierte sie den Zweig, ging über die Mitte hinweg bis zum BKA. Wenn jemand sie hier in Deutschland beobachten ließ, musste das von einer Behörde geschehen, die nicht auf Landesebene agierte. Die nächsten drei Stunden setzte sie sich mit den Funktionen der verschiedenen Behörden auseinander und deren Schnittstellen.
Hanna richtete sich auf, dehnte ihre müden Schultern. Sie brauchte eine Pause und etwas zu essen. Ihre Notizen räumte sie zusammen und verstaute sie in dem Rucksack. Während sie sich auf die Suche nach etwas Essbarem machte, ließ sie in ihrem Kopf die Informationen, die sie gesammelt hatte, wie in einem Film vorbeiziehen. Sie wusste, dass in Potsdam das Einsatzführungskommando der Bundeswehr stationiert war. Das Kommando entschied über den Einsatz der notwendigen Mittel und Kräfte für die militärischen Aufträge, die sie von der deutschen Regierung erhielten. Ben Wahlstroms Aufenthalt in Berlin konnte also tatsächlich einen ganz harmlosen Grund haben. Für einen kurzen Moment erlaubte sie sich den Gedanken, dass er sie genauso wenig vergessen konnte, wie sie ihn. Dann lächelte sie skeptisch und wandte sich wieder der Realität und den Fakten zu. Interessanterweise hatte sie bei der Darstellung der Einsatzgebiete des deutschen Militärs weder Nigeria noch Kenia gefunden. Wobei Nairobi eine der vier Städte war, wo die UN ein Hauptquartier unterhielt, neben New York, Wien und Genf. Für die UN war die Bundeswehr auf dem afrikanischen Kontinent in drei Einsatzgebieten tätig: im Südsudan, Sudan und im Kongo. Zwei weitere Einsatzgebiete in Afrika kamen dazu, diesmal im Auftrag der EU-Militärmission. Einmal gab es den Auftrag in Somalia zur Ausbildung somalischer Sicherheitskräfte, und einen weiteren vor der Küste von Somalia gegen die Piraterie.
Möglicherweise war es also tatsächlich so, dass sich eine deutsche Einheit mit Koordinationsaufgaben in Nairobi aufhielt. Konnte es sein, dass Ben Wahlstrom nun hier war, um dem Einsatzführungskommando Bericht zu erstatten? Aber warum hatte er das dann nicht gesagt? Sie stieß verärgert die Luft aus und zog den Blick einiger Gäste im Schnellimbiss auf sich. Nein, sie glaubte nicht wirklich an ein zufälliges Zusammentreffen bei dem Italiener. Inzwischen hatte sie von der Grübelei und ihrem schlechten Schlaf Kopfschmerzen.
Sie entschied sich noch für eine weitere Tour durch den Tierpark, folgte der Rummelsburger Straße, fuhr über die Elsenbrücke und zuletzt ein Stück durch den Treptower Park. Hier in der Nähe befand sich die Wohnung von Viktor. Sie schoss noch ein paar Fotos, bis sie merkte, wie ihre Anspannung nachließ und ihre Kopfschmerzen sich wieder verzogen. Schließlich schnappte sie
Weitere Kostenlose Bücher