Hannas Wahrheit (German Edition)
Mann, von dem sie in den letzten Nächten so intensiv träumte, plötzlich vor sich zu sehen. Da war die Angst, die sie ausfüllte, weil sie seine Anwesenheit instinktiv als Bedrohung empfand. Da war das Besitz beanspruchende Gehabe von Philip. Nein, so konnte sie ihre Wut nicht loswerden. Philip, der sie belehrte, der meinte, etwas in Ordnung bringen zu müssen. Sie schlüpfte in ihre Jogginghose und begann mit einem Work-out. Erst als ihr der Schweiß in Strömen vom Körper lief, ließ die Anspannung in ihrem Körper nach. Die Gedanken in ihrem Kopf hörten auf zu kreisen. Sie war nur noch müde.
Wahlstrom hatte mit gemischten Gefühlen zugesehen, wie Hanna in das Auto von Philip eingestiegen war, der ihm einen kurzen triumphierenden Blick zugeworfen hatte. Statt wie zur Hinfahrt die U-Bahn zu nehmen, entschied er sich, dass er besser zu Fuß zu seinem Auto zurückging, um seine Aufruhr zu bekämpfen.
Oft war er Hanna in den letzten Tagen nahe gewesen. Er hatte versucht, mit seinen Gefühlen ins Reine zu kommen. Sie als jemanden zu sehen, der etwas verbarg. Eine Frau, die auf eine bestimmte Weise in den Tod von über fünfzig Menschen verwickelt war. Kühl und gefasst war sie ihm am Flughafen erschienen. Egoistisch nur auf ihre Rechte bedacht, als es um die Bilder des Überfalls ging. Hanna Rosenbaum war nicht kooperativ gewesen, hatte vielmehr versucht, sie bewusst zu hintergehen. Aber er erinnerte sich auch an ihr Gesicht im Hotel. Die blauen Augen, die sich mit Wasser füllten, sodass sich das Licht darin brach. Ihren Hunger nach Geborgenheit, nach Schutz und Liebe. Zwei völlig verschiedene Menschen.
Die Zeit, während der er ihr gefolgt war, hatte er gebraucht, um neue Distanz zu ihr aufzubauen. Er dachte, es wäre ihm gelungen. Nur deshalb hatte er heute dem Drang nachgegeben, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Ihm war nicht klar gewesen, dass eine Berührung ihrer Beine ein so intensives Gefühl in ihm auslösen würde. Er hatte die Wärme ihres Körpers gefühlt. Mit seinen Sinnen konnte er ihre nackte Haut unter seinen Fingern spüren. Oder die Konturen ihres Körpers nachfahren, bis hin zu den zwei Grübchen, die sich direkt über ihren Pobacken befanden. Er war erleichtert gewesen, als sie den Kontakt unterbrochen hatte. Mit einem Gefühl der tiefen Zufriedenheit, dass seine Berührung sie offensichtlich auch verwirrt und aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.
Grimmig presste Wahlstrom die Lippen zusammen und versuchte, wieder an den ursprünglich Grund seines Aufenthalts hier zu denken. Er kapierte einfach nicht, weshalb Oberst Hartmann ausgerechnet ihm diesen Job übertragen hatte. Seine Kenntnisse in der Ermittlungsarbeit waren gleich null. Er verstand etwas von Taktik, Strategie, schaffte es, Menschen zum Sprechen zu bringen, ohne dass sie es wollten. Nicht mit Gewalt, sondern indem er eine Beziehung zu ihnen aufbaute. Bei Hanna Rosenbaums Verhör war er nicht so vorgegangen, denn das hätte bedeutet, Nähe zu ihr aufzubauen. Die Gefahr, die von ihr für ihn ausging, war ihm unbewusst bereits bei der ersten Begegnung am Flughafen klar gewesen. Er folgte immer seinen Instinkten. Dummerweise hatten diese ihn nicht davon abgehalten, in ihr Zimmer zu gehen.
Major Wahlstrom beschleunigte sein Tempo, schlug die Kapuze seiner Jacke über den Kopf und zog die Schultern hoch. Die Vorstellung, dass Philip Bornstedt nun mit ihr womöglich im Bett lag, ließ ihn mit den Zähnen knirschen. In seinem Kopf saß der irrsinnige Gedanke, dass seine Nacht mit Hanna an Bedeutung für ihn verlor, wenn er wusste, dass sie mit anderen Männern ins Bett stieg. Das Gegenteil aber war der Fall. Ein Stöhnen entwich seiner Kehle bei der Vorstellung, wie die Hände von Philip Bornstedt über den Körper von Hanna glitten. Ob er ihr Tattoo um ihren Oberarm kannte? Das Bild des Kreuzes in ihrem Schlafzimmer huschte über seine Netzhaut. Er fragte sich, ob die beiden es dort oder im Wohnzimmer miteinander trieben.
Wahlstrom hielt überrascht an. Er war sich gar nicht bewusst gewesen, dass er bereits in der Straße war, wo sein Auto stand. Sein Tempo war schneller gewesen, als er es wahrgenommen hatte. Ein paar Häuser weiter, auf der anderen Straßenseite, befand sich der Eingang zu Hanna Rosenbaums Wohnung. Seine Augen glitten die Fassade hinauf bis zu dem Fenster ihrer Wohnung. Dort befand sich ihre Küchenzeile, sanft schien das Licht von dort in die Nacht. Sein Magen zog sich zusammen. Das Geräusch einer Haustür ließ
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