Hannas Wahrheit (German Edition)
hob, starrte Nina sie mit großen Augen und offenem Mund an, ein voller Löffel schwebte vor ihrem Mund.
Ihre Sprachlosigkeit hielt nicht lange an. „Hast du gerade gebetet? Wow, ich glaube, du bist der erste Mensch, den ich im echten Leben beten sehe. Welchem Glauben gehörst du an, oder bist du in so einer Sekte?“
„Christin.“
„Das ist katholisch, oder? Voll krass, gehst du auch in die Kirche und so? Hältst du dich an die Zehn Gebote? Kannst du nur Sex haben, wenn du verheiratet bist?“
„Ja. Ja. Ich versuche es …“ Hanna runzelte die Stirn, wusste nicht, was sie auf die letzte Frage antworten sollte.
„Ich denke, das ist heute alles etwas anders als früher“, sprang ihr Viktor zu Seite. Nina drehte ihren Kopf zu ihm.
„Heißt das, du bist auch katholisch?“
„Im Grunde ja. Zumindest bin ich nicht aus der Kirche ausgetreten. Aber ich bin kein praktizierender Christ.“
„Also das verstehe ich nicht, entweder glaubst du oder du glaubst nicht, was hat das denn mit Praktizieren zu tun?“
Neugierig sah Hanna Viktor an. Sie hatten noch nie eine Diskussion über den Glauben geführt. In der Klinik war sie oft zum Beten in die Kirche gegangen. Stundenlang konnte sie in der tiefen Ruhe des Raumes verharren. Sie hatte die Bilder an den Wänden studiert, jedes einzelne. Bei der Vorstellung von all dem Leid im Leben von Gottes Sohn, war ihr das eigene Leid nicht mehr so bedeutungsvoll erschienen. Ihren Körper konnte jemand quälen oder sich gewaltsam unterwerfen, aber ihre Seele gehörte Gott. Und wen oder was sie in diese Seele einließ, entschied sie. Niemand anderes.
Einmal war Viktor mit ihr gegangen, doch er fragte nach dem Warum und fand darauf keine Antwort. Es hatte ihn wütend gemacht, in die Kirche zu gehen.
Viktors Blick streifte sie. Er saß am Kopf des Tisches, während sie gegenüber von Nina saß. „Manchmal ist es nicht so einfach, zu glauben.“
„Warum trittst du dann nicht aus der Kirche aus, wenn du dich nicht zu dem Glauben bekennst?“, ließ Nina nicht locker.
„Weil ich jemanden kenne, der daraus so viel Ruhe und Kraft schöpft, dass er mich mit seinem Licht aus der tiefsten Dunkelheit meines Lebens geführt hat.“ Viktor legte seine Hand auf ihre, lächelte sie zärtlich an. Hanna blinzelte, runzelte die Stirn, begann, das Hackfleisch auf ihrem Teller zu zerkrümeln.
Nina seufzte tief, verdrehte theatralisch die Augen. „Was für ein Glück, dass ich nicht eifersüchtig bin, sonst müsste ich dir jetzt eine Szene hinlegen.“
Schnell zog Viktor seine Hand von ihrer, und sie alle mussten lachen. Das Essen war vorzüglich, und Nina war eine gute Geschichtenerzählerin. Es machte Spaß, ihr zuzuhören, wie sie mit spitzer Zunge die Dinge auf einen Punkt brachte. Hanna erfuhr, dass Nina vor einem halben Jahr in der Firma, wo auch Viktor arbeitete, angefangen hatte. Seit sechs Wochen hatten sie ein gemeinsames Projekt. Aus den gegenseitigen Neckereien der beiden spürte sie den Respekt, den sie in der Arbeit füreinander hegten. Nina schien eine ziemlich gute Hackerin zu sein und hatte deshalb schon einmal eine Strafe abgesessen. Später entschied sie sich, ihr Interesse zu einem Beruf zu machen, so war sie dann bei der IT-Security Task-Force gelandet. Als die beiden in eine technische Diskussion ihres aktuellen Projekts abtauchten, hörte Hanna auf, ihnen gedanklich zu folgen. Gerne hätte sie ihre Kamera herausgeholt und sie fotografiert. Ninas Augen glänzten, ihr Blick war so konzentriert. Die Hitze des Wortgefechts brannte auf ihren Wangen. Hanna hatte auch Viktor noch nie so lebendig und lebhaft erlebt. Mit ihr war er immer ruhig und still gewesen. Die Stühle der beiden rückten näher zueinander und Hanna entschied, dass es an der Zeit war zu gehen. Sie erhob sich.
„Oh Hanna, tut mir leid, das war unhöflich von mir, für dich ist das bestimmt alles total langweilig.“
„Vielleicht gar nicht so sehr, wie du glaubst, immerhin entstand meine Idee zu der Programmroutine aus dem letzten Trojaner, den mir Hanna mitgebracht hat“, warf Viktor ein.
Das brachte Hanna wieder zu ihrem eigentlichen Grund des Besuches zurück. „Kannst du ihn von meinem System löschen?“
„Ich dachte, er hätte sich von selber gelöscht?“
„Ich bin mir nicht mehr sicher.“
Prüfend richtete Viktor seine ganze Aufmerksamkeit auf sie. „Wirst du wieder überwacht? War das der Grund, weshalb du dich nicht bei mir gemeldet hast, bevor du mich überfällst?“
Hanna
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