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Hannes - Falk, R: Hannes

Hannes - Falk, R: Hannes

Titel: Hannes - Falk, R: Hannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Falk
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geworden und hab mich auf einen Stapel alter Teppiche gesetzt, um das Teil anzuschauen. Hab dann mein T-Shirt ausgezogen und angefangen, den Staub abzuwischen und das Metall zu polieren. Kurz darauf ist meine Nachbarin mit ihrem Wäschekorb gekommen, hat mir einen äußerst sonderbaren Blick zugeworfen und schließlich begonnen, die Wäsche aufzuhängen.Hat die noch nie jemanden in Unterhosen auf dem Speicher sitzen sehen, der seine Posaune poliert? Egal. Jedenfalls hab ich mir jetzt überlegt, das gute Stück mit ins Vogelnest zu nehmen. Für den Morgenappell. Werde mich damit in den Korridor stellen und die Insassen aus den Federn blasen. Dann ist dieses leidige Gewecke am Morgen Geschichte. Ja, das werd ich tun!
    War am Abend noch bei dir und hab ein bisschen aus meinem Leben vorgelesen. Bin auf der Bettkante gesessen und auf dem Fensterbrett. Hab in die Kastanie geschaut oder in den Spalt deiner Augen und hab hundertmal deine Hand auf die Bettdecke plumpsen lassen. Sie fällt wie ein Stein. Morgen beginnt meine Nachtschicht wieder und ich werde dich davor besuchen.

Mittwoch, 12.04.
    Es ist jetzt halb zwei in der Früh und ich schreibe hier im Vogelnest. Ich mag die Nachtschichten, sie sind ruhig (meistens) und das alte Gemäuer hier ist nachts noch viel besser als am Tag. Die Walrika hat im ganzen Haus Stehlampen aufgestellt, die warme Töne an uralte Mauern werfen und den Insassen den Weg weisen sollen, wenn sie nachts wandern. Das kommt zwar kaum vor, aber eben nur kaum. Unter einer solchen Lampe sitz ich nun und erzähl dir von den letzten Tagen. Also, wie gesagt, die Nächte hier sind durchweg ruhig, und so habe ich beschlossen, mir die Akten der Insassen mal genauer anzusehen. Einfach weil ich wissen will, weshalb sie hier die Zeit totschlagen. Am meisten hätte mich natürlichdie Akte von unserem Neuzugang Florian interessiert. Weshalb ist ein siebzehnjähriger kräftiger Junge in einem Heim für »psychisch instabile Personen«? Leider ist die Akte aber bei der Psycho-Redlich, deshalb hab ich mit Frau Stemmerle angefangen.
    Und stell dir vor, Hannes, die hat tatsächlich ihre Enkelin auf dem Gewissen. Natürlich nicht absichtlich und auch nicht fahrlässig, aber trotzdem. Also, die Stemmerles hatten (oder haben, keine Ahnung) ein nicht unbeachtliches Grundstück am Starnberger See mit direktem Zugang und fetter Villa drauf. Übrigens seit Generationen, wäre mittlerweile wohl unerschwinglich. Die ganze Familie wohnte dort, und der Herzschlag dieser Familie war die Jasmin, eben die Enkelin von der Frau Stemmerle. Wohl schon sehr früh hat man dem kleinen Mädchen das Schwimmen beigebracht, war die Nähe zum See doch ein ständiges Risiko. Und schnell schwamm das Kind wie ein Fisch und die Familie war beruhigt. An diesem heißen Nachmittag, den die Jasmin nicht überleben sollte, ging die Oma, wie schon so oft zuvor, mit ihr zum nahen Wasser runter. Die Eltern waren beide arbeiten und der Großvater hat in den kühlen Räumen des Hauses seinen kleinen Mittagsschlaf gehalten. Das Mädchen hat vergnügt auf einer Luftmatratze geplanscht und die Oma mit Wasser bespritzt, die auf einer Decke am Ufer saß. Jasmin war übermütig und fröhlich und aus dem Wasser gar nicht mehr rauszukriegen. Das war es dann wohl auch, sie hat einfach ihre Kräfte überschätzt. Irgendwann wollte sie sich auf der Luftmatratze umdrehen und ist abgerutscht. Der Druck, der so entstanden war, ließ die Matratze davonschwappen. Die Kleine ist untergetaucht, bekam Wasser in Nase und Mund, tauchte auf, rissHilfe suchend die kleinen Ärmchen in die Höhe und schrie aus Leibeskräften. Das alles geschah in Sekunden. Vermutlich erschien ihr jetzt der rettende Weg zum Ufer unbezwingbar. Na, jedenfalls ist die Oma zu Tode erschrocken aufgesprungen, doch die Beine versagten ihr den Dienst. Noch ehe sie der Enkelin die helfende Hand reichen konnte, verlor sie das Bewusstsein. Jasmin war tot, noch ehe die Oma wieder zu sich kam. Sie starb im Alter von acht Jahren. Es war ein Schwächeanfall bei der alten Frau, nichts weiter. Durch die Hitze und die Aufregung hatte ihr Körper kurz ausgesetzt, einfach um wieder zu Kräften zu kommen. Nur für ein paar winzige Augenblicke. Es sollten die verhängnisvollsten ihres Lebens werden.
    Sechs Wochen danach hat Jasmins Mutter die Familie verlassen. Niemand hat sie je mehr gesehen. Und weitere sechs Wochen später ist der Großvater gestorben. Nach dem Tod ihres Mannes hat die Frau Stemmerle ihren Sohn

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