Hannes - Falk, R: Hannes
in den nächsten Nachtschichten ähnlich abging und ich darum auch erst heute zum Schreiben komme.
Heute ist sie nämlich nicht da, die Frau Dr. Redlich (sie heißt übrigens Iris). Na, jedenfalls hat die Walrika im Zimmer der Redlich Iris einen Tobsuchtsanfall gehabt, der sich gewaschen hatte. Leider hab ich nichts mitgekriegt, weil die Tür von innen gepolstert ist. Hab nur gehört, als die Walrika aus dem Zimmer kam, wie die Redlich Iris gesagt hat: »… das werden wir dann schon sehen, Schwester Walrika«, und die Walrika geantwortet hat: »Ja, in Gottes Namen, das werden wir, Frau Dr. Redlich!« Die Redlich Iris ist dann mit ihrem Auto los und hat beim Wegfahren ordentlich die Reifen strapaziert.
Später auf dem Balkon hat die Walrika zu mir gesagt: »In Ihrer Freizeit, Uli, können Sie treiben, was immer Sie wollen. Hier im Vogelnest hat eine billige Affäre nichts verloren, verstehen Sie, rein gar nichts. Und bringen Sie mich in Gottes Namen mit solchen Scheußlichkeiten nicht dazu, den Respekt vor Ihnen zu verlieren und die Vertrautheit, die ich durchaus für Sie empfinde. Ganz abgesehen davon, dass die Redlich gute zehn Jahre zu alt ist für Sie«, sprach’s, drückte ihre Zigarette aus und ließ mich auf diesem dämlichen Balkon stehen wie einen Narren, ohne mir überhaupt die Gelegenheit einer Antwort zu geben. Aber was hätt ich ihr auch sagen sollen: »Sorry, wir haben doch nur ein bisschen gepimpert«? Nein, das geht gar nicht. Sie hat übrigens mit keinem Wort erwähnt, woher sie weiß, was sie weiß. Ja, Hannes, du siehst, kaum kommt ’ne Frau ins Spiel, beginnen die Probleme. Melde mich morgen wieder.
Freitag, 12.05.
Du, Hannes, das mit deinem Gegrinse neulich, als ich dir die Geschichte erzählt hab, ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich hab dann den Brenninger gefragt, ob er glaubt, dass das möglich ist. Dass du eben in manchen Situationen grinsen würdest. Er hat gesagt, dass ich spinne und langsam mal aufpassen soll, nicht, dass ich noch durchdreh. Wär ja schade, wenn ich als Insasse im Vogelnest endete, hat er gesagt.
Hab danach deine Mutter gefragt, und die hat gesagt, natürlich würdest du grinsen. Sie hätte das schon ganz oft gesehen,und dass es immer wieder Situationen gibt, in denen du ganz doll grinst. Na ja.
Irgendwann hab ich’s nicht mehr ausgehalten und hab beim Dr. Schnauzbart an die Tür geklopft. Er hat mich tatsächlich eintreten lassen und sich meine Frage angehört. Er ist hinter seinem riesigen Schreibtisch gesessen, hat an seinem Bart gezwirbelt, über die Brille geguckt und mir in aller Ruhe zugehört. Dann ist er aufgestanden, ans Fenster getreten, hat hinausgesehen und die Arme im Rücken verschränkt. Nach einer Weile hat er gesagt: »Ich beneide Sie, mein junger Freund, ich beneide Sie sehr. Es ist etwas Wundervolles, etwas Unbezahlbares und leider sehr Seltenes, was hier vorgeht, wissen Sie. Freunde, wie Sie es sind, sind inzwischen längst ausgestorben, leider. Und das war es auch, was ich Ihnen sagen wollte, mit meiner Bemerkung neulich, als ich Sie fragte: ›Nur gute Freunde, was?‹ Die Betonung lag auf dem ›Nur‹, wissen Sie. Sie haben gesagt, sie wären ›nur‹ gute Freunde. Sie hätten sagen müssen: Wir sind Gott sei Dank gute Freunde und niemand auf der Welt kann uns trennen! Denn so ist es doch, nicht wahr. Niemand könnte Sie trennen von ihm. Sie würden lieber eine ganze Klinik lahmlegen, als dass Sie jemand daran hindern könnte, zu ihm zu gehen, nicht wahr. Und ich sage Ihnen, ich beneide Sie beide sehr. Es ist ein Geschenk Gottes. Gehen Sie sorgsam damit um. Und was Ihre Frage mit dem Lächeln angeht, kann ich Ihnen sagen, beinahe alle Patienten haben sich haargenau an jede Einzelheit erinnert, wenn sie aus dem Koma kamen. Wenn sie sich also später daran erinnern können, müssen sie es ja zuerst einmal wahrgenommen haben, nicht wahr.« Dann hat er sich zu mir umgedreht und sich für meinen Besuch bedankt.
Als ich zur Tür raus bin, war ich irgendwie verwirrt. Bin in dein Zimmer, hab mich auf die Bettkante gesetzt und dich lange angeschaut. Ja, der Schnauzbart hat recht, es ist ein Gottesgeschenk. Und ich Idiot hatte ihn total falsch verstanden.
Montag, 15.05.
Es ist jetzt kurz vor drei in der Nacht. Gerade war ich bei der Frau Stemmerle, und wir haben ein wenig mit der Jasmin geplaudert. Heute Abend hat mir die Redlich Iris die Akte vom Florian gegeben und gesagt: »Hier, auf die bist du doch schon lange scharf,
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