Hannes - Falk, R: Hannes
auf einer deiner Bettkanten gesessen, und sie haben geflüstert, als ich reinkam. Als sie mich hörten,sind sie aufgestanden und haben gesagt, sie müssten jetzt eh weg, weil sie schon so lange da sind. Zweimal war das so diese Woche, immer der Kalle und die Nele. Egal.
Jedenfalls hatte gestern die Frau Stemmerle Geburtstag, und die hat sich als einziges Geschenk gewünscht, dass ich ihr was auf der Posaune vorspiele. Ich hab sie natürlich gefragt, was sie denn hören möchte. Und sie hat gesagt, sie kennt nur ein einziges Lied, und zwar ist das aus einem ihrer Lieblingsfilme. ›Der Zapfenstreich‹ aus ›Verdammt in alle Ewigkeit‹. Das hab ich ihr gespielt und sie hat sich gefreut. Die anderen Insassen auch, die haben alle geklatscht. Na ja.
Übrigens hat mir mein Vater die Notenhefte aus Spanien geschickt. Insgesamt sind es vier, wobei nur eines für Posaune ist. Es sind die ›Geistlichen Stücke‹ aus ›Die kleine Schule der Posaune‹ auf Spanisch. Das Gleiche hat er mir schon vor Jahren in deutscher Fassung geschenkt, und ich fand es da schon scheiße. Die anderen Hefte sind für ein ganzes Orchester oder so, er hat mir aber mit dem Textmarker die Passagen für die Posaune angestrichen. Irgendwie kapiert er es nicht, dass, wenn schon Posaune, dann eben Jazz. Ich hab dieses Teil wirklich gehasst, bis ich dann ›Die Glenn Miller Story‹ im Fernsehen gesehen und gemerkt hab, dass man damit ja richtige Musik machen kann.
So, Hannes, mich holt jetzt gleich der Brenninger ab, und wir wollen noch kurz rausfahren zum Baggersee. Mal schauen, wie die Wassertemperaturen sind (Lufttemperatur seit Tagen achtundzwanzig Grad). Im Anschluss fahren wir zu dir. Bis dahin.
Dienstag, 23.05.
Wir waren am Samstag noch bei dir, der Brenninger und ich, aber nicht lange. Deine Eltern waren da und offensichtlich ein jeder, der auch nur ansatzweise mit euch verwandt ist. Jedenfalls war das Krankenzimmer zum Bersten voll. Wir sind gleich wieder abgehauen, nachdem uns deine Mutter überschwänglich diesen und jenen Onkel, Neffen oder was weiß ich vorgestellt hatte. Außerdem waren einige Kinder da und der Lärmpegel war beachtlich.
Wir sind noch mal raus zum See (das Wasser ist definitiv noch zu kalt zum Baden), und auf einmal hat der Brenninger irgendwie ’ne depressive Phase gekriegt. Er ist da so am Ufer gesessen, hat auf den See hinausgeschaut und Steine floppen lassen. Dann hat er gesagt, dass er immer irgendwie so der Depp ist, ein Anhängsel oder so und wir ihn eh alle nur dabeihaben wollen, weil seine Eltern den Partyservice haben. Er hat gesagt, dass er auf den ganzen Partyservice scheißt und dass er stattdessen lieber einen ehrlichen Freund hätte und nicht nur Leute, die auf seinen Partyservice scharf sind. Ich weiß nicht recht, wie er dadrauf kommt, wir hatten doch abgesehen von seinem achtzehnten Geburtstag oder neulich bei dir im Krankenhaus noch nie irgendeinen Vorteil von dem blöden Partyservice. Egal. Jedenfalls hat er gesagt, der Kalle hätte den Rick und ich hätte dich und er ist halt immer das fünfte Rad am Wagen. Hab das noch nie so empfunden. Eigentlich haben wir doch das meiste gemeinsam gemacht, oder? Er hat gesagt, dass eh alles scheiße ist und er jetzt dringend mal rausmuss. Na, jedenfalls überlegt er nun, mal nach Neuseeland zu gehen für ein paar Wochen, um den Michel zu besuchen. Er hat sichauch schon erkundigt wegen den Preisen und so, und er überlegt ernsthaft, das zu tun. Dann hat er sich splitterfasernackt ausgezogen und ist ins Wasser gesprungen.
Montag, 29.05.
Hallo Hannes,
der Mai ist jetzt fast rum und du liegst da und merkst es noch nicht einmal. Riechst nicht den Flieder oder den Regen, der jetzt ganz anders riecht als sonst. Die Sonne, die hier ins Zimmer knallt, die Vögel, die draußen pfeifen, nichts davon bekommst du mit. Du merkst es noch nicht einmal, wenn deine ganze dämliche Verwandtschaft hier ein Familientreffen arrangiert und wortwörtlich über deinen Kopf hinweg alte Geschichten aufwärmt und Butterkekskrümel im Bett verteilt.
Ach, Hannes, ich bin vorgestern den ganzen Tag bei dir gewesen. Gestern war das Wetter so schön, und ich hab schon richtig vermutet, dass du alleine bist. Schließlich kann man es auch niemandem verdenken, wenn jemand lieber zum Baden geht, anstatt an einem Krankenhausbett zu sitzen und auf ein Wunder zu warten.
Ich habe gewartet, den ganzen Tag. Habe dir die Sportberichte aus der Samstagszeitung vorgelesen und meinen
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