Hannes - Falk, R: Hannes
und die Nele hatte den Kopf an seine Schulter gelegt. Sie haben den Kinderwagen geschoben und ich bin irgendwie in Schrittgeschwindigkeit daneben hergefahren. So lange, bis das Auto hinter mir gehupt hat. Ich glaube, sie haben mich gesehen, Hannes. Jedenfalls hab ich hinterher auf dem Balkon der Walrika die Geschichte von der Nele und dem Kalle erzählt, sie hatte aber diesmal auch keinen klugen Rat. Wie wir alle eben.
Mittwoch, 20.12.
Lieber Hannes,
sitze hier im Vogelnest, es ist weit nach Mitternacht, ich habe eine Million Gedanken in meinem Hirn und vermutlich wird es jeden Moment platzen. Ich muss ständig dran denken, was der Schnauzbart gesagt hat, das mit der Verantwortung und so. Vermutlich hat er wieder mal recht und ich hab dich tatsächlich in große Gefahr gebracht. Und du weißt es wohl am besten, dass mir nichts auf dieser Welt ferner liegt, als dich in Gefahr zu bringen. Ganz im Gegenteil. Ich freue mich über jeden winzigen Schritt, den du machst in Richtung Leben. Wenn du deinen wackeligen Kopf zu mir drehst oder mir die Hände drückst, könnte ich weinen, mein Freund. Nichts auf der Welt könnte mich dazu bringen, dich in Gefahr zu bringen. Ich würde mir lieber mein Herz rausreißen. Ich hab doch einfach nicht an den Zug in den Gängen gedacht und schon gar nicht an die verdammten Keime. Ich wollte dir nur den Nachmittag schön machen und hätte dich damit wirklich töten können. Das ist unverzeihlich. Dann noch die Sache mit dem blöden Adventskranz. Ich war zuvor noch im Schwesternzimmer und hab mich dort aufgeblasen: von wegen, die sollen mal drauf achten, dass nicht die ganze Klinik abfackelt und so. Danach bin ich gegangen und hab dich völlig sorglos mit den brennenden Kerzen allein gelassen. Schuld daran war das Zusammentreffen mit deinem Vater. Nicht, dass ich jetzt die Verantwortung abwälzen möchte, Hannes. Aber das hat mich halt schon unglaublich aufgeregt, was der da so gesagt hat. Dass man so was überhaupt sagen kann über jemanden, den man liebt. Unfassbar. Er zieht sich total zurück, von dir, deiner Mutter und dem Leben, daser einmal hatte. Aber das … das hat doch wohl auch was mit Verantwortung zu tun, oder nicht? Man kann sich doch nicht einfach aus dem Staub machen, wenn’s unangenehm wird.
Dazu gehören auch unsere Freunde, Hannes. Keiner von ihnen ist mehr bereit, zu dir zu kommen, weil sie es alle einfach satthaben, dich so zu sehen. Vermutlich ist das bei deinem Vater auch nicht anders, er kann einfach deinen Anblick nicht mehr ertragen. Und so bleiben sie dann alle lieber weg, müssen dich nicht mehr anschauen und können unbeschwert weiterdümpeln in ihrem popeligen Leben. Aber was denken die sich denn? Glauben die, wenn sie sich den Anblick ersparen, ändert das was? So nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß? Ist es so, dass es ihnen allen besser geht, wenn sie von dir wegbleiben? Ist das so, Hannes? Dann fragt man sich natürlich, warum jeder von ihnen saugrantig ist. Und zwar immer. Egal, auf wen ich wann treffe, jeder ist grantig und bedrückt. Und keinesfalls unbeschwert. Sie versuchen, die Situation zu verdrängen, um unbeschwert zu sein, und erreichen genau das Gegenteil. Es drückt nämlich auf ihr Gewissen. Und ein schlechtes Gewissen macht halt grantig. Und so schleichen sie allesamt durchs Leben mit hängendem Schädel und mieser Laune, aber Hauptsache, sie können die Augen verschließen vor deinem Anblick. Na ja, das sind eben so die Gedanken, die ich habe, mein Freund.
Es ist jetzt kurz vor Weihnachten und vielleicht schlägt mir diese Stimmung auch ein bisschen aufs Gemüt, keine Ahnung.
Ach, übrigens hat der Flori angerufen und die Walrika und mich am zweiten Feiertag zum See eingeladen. Auch der HerrStemmerle wird kommen, und es soll ein nettes Abendessen werden. Ja, ich denke mal, es ist gut, wenn ich mal rauskomm hier.
Sonntag, 24.12.
Frohe Weihnachten, mein lieber Freund. Es ist jetzt kurz vor sechs und ich schreibe dir noch schnell ein paar Zeilen, bevor ich ins Vogelnest fahre. Hab den Insassen versprochen, ein paar Weihnachtslieder zu posaunen, und es gibt Punsch und Stollen. Werde danach meine Eltern anrufen und anschließend ins Sullivan’s gehen, wie in den Jahren davor. Bin ausgesprochen neugierig, wer heute da ist, weil ich seit Tagen vom Brenninger und vom Rick nichts mehr gehört hab. Die Nele und der Kalle werden jedenfalls nicht da sein, weil die mit einer starken Grippe flachliegen. Bin heute
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