Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
Vom Netzwerk:
Haupthaus ging.
    Hannibal legte eine Hand auf Cesars Wange. Das lang gezogene Gesicht des Pferdes wandte sich ihm Hafer kauend zu. Der sowjetische Stallknecht pflegte das Tier gut. Hannibal rieb Cesars Hals und hielt sein Gesicht dicht an das sich drehende Ohr des Pferdes, aber aus seinem Mund kam kein Laut. Er küsste Cesar zwischen die Augen.
    Im hinteren Teil des Heubodens, in dem Zwischenraum der doppelten Wände, hing das Fernglas seines Vaters. Er holte es aus dem Versteck, hängte es sich um den Hals und überquerte den zertrampelten Appellplatz.
    Der zweite Aufseher beobachtete ihn von der Treppe aus. Hannibals wenige Habseligkeiten wurden in eine Tasche gepackt.

13

    Vom Fenster des Heimleiters aus beobachtete Robert Lecter, wie sein Chauffeur beim Koch des Waisenheims ein Päckchen Zigaretten gegen eine kleine Wurst und ein Stück Brot eintauschte. Da sein Bruder als tot galt, war jetzt er Graf Lecter. Aber nachdem er den Titel schon jahrelang unrechtmäßig geführt hatte, war er bereits an ihn gewöhnt.
    Der Heimleiter zählte das Geld, das er ihm gegeben hatte, nicht nach, sondern steckte es mit einem Blick auf Oberst Timka in seine Brusttasche.
    »Graf, äh, Genosse Lecter, ich wollte diese Gelegenheit unbedingt nutzen, um Ihnen zu sagen, dass ich vor dem Krieg zwei Ihrer Bilder im Katharinenpalast gesehen habe. Und natürlich kenne ich auch die in Gorn veröffentlichten Abbildungen. Ich bin nämlich ein großer Bewunderer Ihres Werkes.«
    Robert Lecter nickte. »Danke, Herr Direktor. Was haben Sie über Hannibals Schwester in Erfahrung gebracht?«
    »Ihr Babyfoto ist bei der Suche leider keine große Hilfe«, sagte der Heimleiter.
    »Wir haben es an alle Waisenheime verschickt«, fügte Oberst Timka hinzu. Er trug die Uniform der sowjetischen Grenzpolizei. Seine stählerne Brille blinkte mit dem stählernen Gebiss um die Wette. »Aber es dauert natürlich seine Zeit, bis man Rückmeldung erhält. Bei so vielen Kindern.«
    »Dazu muss ich Ihnen auch sagen, Genosse Lecter, der Wald ist voller ... Überreste, die noch nicht identifiziert werden konnten«, ergänzte der Heimleiter.
    »Und Hannibal hat nie auch nur ein Wort gesprochen?«, fragte Robert Lecter.
    »Jedenfalls nicht in meiner Gegenwart. Physiologisch ist er durchaus in der Lage, zu sprechen – im Schlaf schreit er den Namen seiner Schwester.« Der Heimleiter hielt inne. »Genosse Lecter, ich wäre an Ihrer Stelle ... vorsichtig mit Hannibal, solange Sie ihn nicht besser kennen. Möglicherweise ist es das Beste, wenn er nicht mit anderen Gleichaltrigen spielt, bis sich sein Zustand stabilisiert hat. Irgendjemand steckt in seiner Gegenwart nämlich immer Prügel ein.«
    »Aber er ist doch kein Raufbold, oder?«
    »Es sind die Raufbolde, die er sich besonders gern vorknöpft. Hannibal hält sich nicht an die Hackordnung. Die Jungen, auf die er sich stürzt, sind immer größer als er, und er verletzt sie stets sehr schnell und manchmal ziemlich schwer. Hannibal kann selbst Männern gefährlich werden, die wesentlich größer sind als er. Mit den Kleinen kommt er dagegen blendend zurecht. Von ihnen lässt er sich einiges bieten. Manche von ihnen denken, er wäre nicht nur stumm, sondern auch taub, und behaupten deshalb in seiner Gegenwart, er sei verrückt. Hannibal schenkt ihnen trotzdem seine kleinen Leckereien, wenn es einmal welche gibt.«
    Oberst Timka sah auf die Uhr. »Wir müssen los, Genosse Lecter. Ich habe noch kurz etwas mit dem Direktor zu besprechen und komme dann gleich zum Wagen nach.«
    Oberst Timka wartete, bis Graf Lecter das Zimmer verlassen hatte. Dann streckte er die Hand aus, und der Heimleiter händigte ihm seufzend das Geld aus seiner Brusttasche aus.
    Mit blinkender Brille und blitzendem Gebiss befeuchtete Oberst Timka den Daumen und begann die Scheine zu zählen.

14

    Auf den letzten Kilometern zu Robert Lecters Château ging ein Regenschauer nieder und band den Staub auf der Straße. Unter den Rädern des schlammbespritzten Delahaye knirschte der Kies. Der Geruch von frischen Kräutern und gepflügter Erde wehte ins Wageninnere. Dann hörte es auf zu regnen, und das Abendlicht nahm einen orangefarbenen Ton an.
    Das Château von Hannibals Onkel wirkte in dem seltsamen Licht eher anmutig als pompös. Die Fensterkreuze der zahlreichen Fenster waren gekrümmt wie von Tau beschwerte Spinnweben, ln Hannibals Augen, der immer nach Omen jeglicher Art Ausschau hielt, bog sich die Loggia des Château s vom Eingang weg wie

Weitere Kostenlose Bücher